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By Geier - Posted on 08 Februar 2010

8. Februar 2010

 

Gelegentlich bin ich gefragt worden, welche Bibelübersetzung ich hier verwende und warum. Bevorzugt nutze ich die Dabhar-Übersetzung von F. H. Baader (Die Geschriebene des Alten und Neuen Bundes). Der Grund liegt in ihrer Genauigkeit. Mir ist bisher keine andere deutsche Übersetzung bekannt, die dem Grundtext derart nahekommt. Das bedeutet freilich, daß sie keine bequeme Übersetzung ist.

Denn die Genauigkeit erfordert Wortschöpfungen, die nicht immer unserer Alltagssprache entsprechen. Das kann auch gar nicht anders sein: Die biblischen Sprachen — Althebräisch, Aramäisch, Altgriechisch (Hellenisch) — entsprechen in ihrer Struktur nicht unbedingt dem modernen Hochdeutschen. Die Übersetzung hat also die Aufgabe, die Verständniskluft zwischen Ursprungstext und der Sprachwelt des Lesers zu überbrücken.
Dafür gibt es nach Schleiermacher zwei gegenläufige Übersetzungsprinzipien: Das eine besteht darin, den Grundtext an das Denken des Lesers anzupassen. Das andere besteht darin, das Denken des Lesers auf den Grundtext zuzubewegen. Wird irgendein Roman übersetzt,ist es kein Problem, wenn der Übersetzer das erste Prinzip anwendet. An die Übersetzung der Bibel stelle ich freilich andere Anforderungen. Der zweite Weg — Heranführung des Lesers an den Grundtext — ist freilich nur möglich, wenn der Leser mitarbeitet, er erfordert den mündigen Leser. Die Dabhar-Übersetzung folgt diesem zweiten Übersetzungsprinzip. Begründet ist dies z. B. in Röm. 12, 2:

Und nicht zusammenschematisiert euch diesem Äon, sondern werdet umgestaltet in dem Hinaufneumachen eures Denkens … 

Es kann also nicht Zielsetzung sein, das Wort soweit zu biegen, bis unser modernes Denken damit klarkommt, vielmehr haben wir die Pflicht, unser Denken soweit zu schulen und anzupassen, daß es sich dem Wort Gottes angleicht.
Auch das Verbot, irgendetwas zum Wort Gottes hinzuzufügen oder davon hinwegzunehmen (Offb. 22, 18f) macht eigentlich den ersten Weg (das Zubewegen des Textes auf den Leser) unmöglich. Wenn man sich »Übersetzungen«, die nach diesem Prinzip verfertigt sind, ansieht (wie z. B. die »Hoffnung für alle«), so stellt man fest, daß ganze Halbsätze darin frei erfunden sind, die im Grundtext nicht vorkommen. Dies ist desto gefährlicher, als der Leser in dem Glauben gelassen wird, die Bibel — und damit Wort Gottes — zu lesen.

Die Dabhar-Übersetzung ist eine konkordante Übersetzung. Das heißt, daß jedem Grundtextwort immer genau ein Wort in der Zielsprache zugeordnet ist. Nichtkonkordante Übersetzungen sind hier variabel und übersetzen gleiche Wörter je nach Kontext unterschiedlich. Diese Variabilität ermöglicht es einerseits, glattere Sätze zu formulieren, andererseits besteht immer die Gefahr, daß der Übersetzer seine persönlichen theologischen Ansichten in die Übersetzung hineinträgt. Das konkordante Übersetzungsprinzip ist demgegenüber ein sehr starres, technisches Prinzip. Wer konkordant übersetzt, diszipliniert sich selbst; er legt sich eine starke Fessel an, die Manipulationen viel zuverlässiger ausschließt als andere Übersetzungsprinzipien. Um konkordant übersetzen zu können, muß man zuerst einen Wortschlüssel erarbeiten, in dem jedes Wort in allen seinen biblischen Vorkommen erfaßt ist. Dann muß überlegt werden, wie dieses Wort in allen seinen Vorkommen mit einem Wort der Zielsprache sinnvoll wiedergegeben werden kann (dies entspricht übrigens auch dem Prinzip, daß sich die Schrift aus sich selbst heraus erklärt). Dann sollte diese Wiedergabe auch im Vergleich mit außerbiblischen Vorkommen des Wortes logisch nachvollziehbar bleiben. Bei diesem Anspruch halte ich theologische Manipulationen für ziemlich ausgeschlossen, jedenfalls ist nicht zu ersehen, warum jemand, der den Text manipulieren wollte, sich ausgerechnet den Weg suchen sollte, der dies am schwierigsten, wenn nicht gar unmöglich macht (und der nebenbei vermutlich am arbeitsintensivsten ist). Hingegen sehe ich die Gefahr »theologischen« Übersetzens gegeben, wenn der Übersetzer willkürlich nach seinem Kontextverständnis entscheidet, ob er z. B. Nephesch mit »Seele«, mit »Geist« oder auch einmal mit »Leben« übersetzen möchte, sabbaton mit »Sabbat«, wenn es die Juden betrifft, oder eben mal mit »erster Tag der Woche« (sic!), wenn es die Christen betrifft, aion sogar mit so gegenteiligen Begriffen wie »Ewigkeit« (unbegrenzt) und »Zeitalter« (begrenzt), aber auch mal mit »Welt«. Hier fließt ja nicht nur der biblische Kontext ein, sondern auch der historische und letztlich auch die ganze Kirchengeschichte, kurz: die kirchliche Theologie.
Der Preis für das genauere konkordante Übersetzen ist, daß man Worte und Sätze erhält, die erst einmal als sehr holprig und unglatt empfunden werden, eben weil der Duktus der Grundtextsprache in den deutschen Satz hineingetragen wird. Dies muß kein Nachteil sein. Die größere Anstrengung beim Lesen führt regelmäßig dazu, daß man über Textstellen »stolpert«, über die man bisher hinweggelesen hatte, was mitunter mit großem Verständnisgewinn verbunden ist.
Man nehme nur das oben angeführte Beispiel aus Römer 12: Natürlich ist dem Leser, der damit nicht vertraut ist, die Wortwahl erst einmal ungewohnt. Aber Worte wie »zusammenschematisieren« (ein gemeinsames Schema haben, die gleichen Grundsätze und Denkmuster aufnehmen und vertreten) oder »hinaufneumachen« (ein nach oben hin ausgerichtetes Neuerschaffen) verraten mehr über die ursprüngliche Intention des hellenischen Satzes als die gebräuchliche Übersetzung »… werdet verwandelt durch die Erneuerung Eures Sinnes«, die obendrein die Aussage unterschlägt, daß die Schlacht, die hier geschlagen werden muß, ganz konkret in unserem Denken stattfindet, und nicht irgendwie im »Sinn«, was ja vergleichsweise nebulös und interpretationsanfällig erscheint. Auch erschließen sich einige Stellen, die zuvor völlig unverständlich schienen, überhaupt erst durch genauere, konkordante Übersetzungen (siehe Artikel zum Thema »Totentaufe«).
Ein weiteres Beispiel: In Mk. 1, 17 sagt Jesus gemäß Elberfelder Übersetzung:

»Kommet mir nach, und ich werde euch zu Menschenfischern machen.«

In der Dabhar heißt es hier:

»Kommet herbei, mir nach, und ich werde machen, daß ihr Besalzer der Menschen werdet.«

Man könnte hier kurzschlüssig folgern, daß die Wiedergabe des gewohnten »Fischer« mit dem wörtlichen »Besalzer« keinen Wert habe, da völlig unstrittig Fischer gemeint sei, wogegen Besalzer im Deutschen sprachwidrig sei. Tatsächlich aber legt das griechische Wort das Augenmerk darauf, daß er Hauptanteil der Tätigkeit des Fischers nicht im Einfangen, sondern im Haltbarmachen der Fische, also ihrem einsalzen, bestand. Dieser Bedeutungsschwerpunkt geht in herkömmlichen Übersetzungen (Fischer) völlig verloren. Er hat aber im Zusammenhang mit der Aussage »ich will machen, daß Ihr Besalzer der Menschen werdet« eine tiefe geistliche Aussage. Das Hauptaugenmerk des evangelistisch Tätigen soll demzufolge nicht darauf liegen, Menschen zu »fangen«, sondern darauf, sie »haltbar«, nämlich beständig in Christus zu machen. Wer die Berichte von Großevangelisationen mit gigantischen »Bekehrungszahlen« kennt und weiß, was gemeinhin wirklich hiervon bleibt, weiß um die Relevanz, die in der Botschaft dieses einzigen Wortes »Besalzer« steckt: Nicht einfach fangen, sondern haltbar machen. Dies ist nur ein Beispiel, wie aus einer größeren Sorgfalt und Genauigkeit des Übersetzens besseres Verständnis von Gottes Gedanken erwächst.

Dort, wo ich davon ausgehe, daß der gelegentliche Leser der Geiernotizen dem Wortlaut der Dabhar-Übersetzung nicht ohne weiteres folgen kann (zum Beispiel schon deshalb, weil hier ja deren Worterklärungen nicht zur Verfügung stehen), verwende ich auch leichter lesbare Übersetzungen wie die Konkordante Übersetzung und die Elberfelder Übersetzung, soweit ich nicht den Eindruck habe, daß diese den Text unrichtig wiedergeben. Das Dilemma jedes Schreibenden ist ja, daß er sich unaufhörlich zwischen Genauigkeit der Aussage und Allgemeinverständlichkeit seines Textes entscheiden muß: Je exakter er formuliert, desto mehr Leser schließt er vom Verständnis aus; je populärer er schreibt, desto unschärfer wird die Aussage.

Bedauerlich ist, daß viele Christen für einen möglichst exakten Umgang mit dem Wort Gottes wenig Verständnis haben und diesen gar in die Nähe von »Gesetzlichkeit« und »Pharisäertum« rücken. Dabei ist klar, daß jeder Arzt, der auf wissenschaftliche Werke zurückgriffe, die so ungenau sind wie einige Bibelübersetzungen, großen Schaden anrichten würde. Jeder gute Handwerker muß viel Aufwand treiben, um das bestmögliche Handwerkszeug zur Verfügung zu haben. Aber ausgerechnet dann, wenn es um unser geistliches Rüstzeug geht, erlauben sich viele eine gewisse Wurstigkeit, die sie im civilen Leben niemals durchgehen lassen würden. Selbst Akademiker mit wissenschaftlich geschultem Denken greifen auf einmal zu Bibelnacherzählungen, weil sie meinen, daß genaue Übersetzungen sie überfordern würden. Das kann man eigentlich nur mit Bequemlichkeit oder geringer Liebe zum Wort Gottes erklären. 

Ich erlaube mir hier mal ausnahmsweise, Konfuzius zu zitieren, weil er ein eigentlich geistliches Problem ganz gut zusammenfaßt, wennn auch auf der menschlichen Ebene:

»Wenn die Worte nicht stimmen, dann ist das, was gesagt wird, nicht das Gemeinte. Wenn das, was gesagt wird, nicht das Gemeinte ist, dann sind auch die Taten nicht in Ordnung. Sind die Taten nicht in Ordnung, so verderben die Sitten. Verderben die Sitten, so wird die Justiz überfordert. Wird die Justiz überfordert, so weiß das Volk nicht, wohin es sich wenden soll. Deshalb achte man darauf, daß die Worte stimmen. Das ist das Wichtigste von allem.« 

Paulos schreibt zum Thema »klare Worte«, daß wir »ein Muster (einen Typus) gesundseiender Worte haben« sollen (2. Tim. 1, 13).

Schon von Anbeginn richten sich die Angriffe des Diabolos gegen das Wort Gottes (»Sollte Gott gesagt haben …?«) Deswegen sollten wir es als (historisch gesehen durchaus nicht selbstverständliches) Privileg verstehen, ungehinderten Zugang zur Bibel zu haben. So sind unsere (geistlichen) Vorfahren noch für Besitz und Gebrauch der Bibel von der »alleinseligmachenden Kirche« verbrannt worden und auch heute bezahlen Christen den Bibelbesitz mit dem Leben oder haben schlichtweg keinen oder ungenügenden Zugang zur Schrift. Nun sollte unsere privilegierte Stellung aber niemanden zu der leichtfertigen Annahme verleiten, daß das Wort deshalb hier nicht angegriffen würde. Durch die Kirchengeschichte hindurch sind leider viele Begriffe stark durcheinandergeraten und haben sich in ihrer Bedeutung verschoben, weil der Diabolos (Durcheinanderwerfer) halt das getan hat, was seines Amtes ist: durcheinandergeworfen. Es ist unsere Aufgabe, wo immer dies möglich ist, wieder zur ursprünglichen biblischen Begrifflichkeit zurückzukehren. Und das ist richtige Arbeit. Aber ohne diese Arbeit kann es keine präzise neutestamentliche Lehre geben. Der grundsätzlichen Einfachheit und Schlichtheit des Evangeliums wird dadurch nicht geschadet. Es sollte aber klar sein, daß das Abwehren von Angriffen auf die Klarheit des Wortes Gottes zu den Aufgaben des Leibes des Christos gehört. Dies bedeutet nicht, daß es zu den Aufgaben jedes einzelnen Gliedes gehören würde, über Wortstämmen zu brüten, aber auch die Glieder, deren Aufgabe auf anderen Gebieten liegt, sollten ein gewisses Grundverständnis dafür haben, warum dieser Dienst getan werden muß.

Dieses Ringen um das richtige, gesunde Wort ist zu unterscheiden von den »Wortgezänken«, vor denen Paulos in 1. Tim. 6, 4 warnt. Woher diese Wortgezänke kommen, steht unmittelbar zuvor in Vers 3: »… wenn jemand nicht merkt auf die gesunden Worte unseres Herrn Jesus Christos«. Wortgezänke und das Mühen um das »gesunde Wort« sind also nicht nur unterscheidbar, sie sind einander entgegengesetzt: Das Wortgezänk ist die Folge der mangelnden Achtung des gesunden Wortes.

 

F. H. Baader schreibt zu seinen Übersetzungsprinzipien folgendes:

»… Grundlage der Deutung ist das Wissen um die biblischen Begriffsinhalte der gebrauchten Wörter (nicht nur der Namen). Auch die Kenntnis des Wortes der Grundtextsprache nützt wenig, wenn man nicht weiß, was biblisch damit gemeint ist. Dies wird an den biblischen Namen deutlich, die in der DaBhaRÜbersetzung großteils in Umschrift, also grundtextgemäß wiedergegeben sind.
Was für Namen gilt, gilt für jedes Wort Gottes: man muß, wie ein Kind, das die Muttersprache aufnimmt, den Inhalt der gebrauchten Wörter erfassen lernen, d.h. man muß den begrifflichen Inhalt kennen, um zu begreifen, was damit gemeint ist. Die Akustik (Aussprache) und Optik (Buchstabendarstellung) eines Wortes ist nur der äußere Teil, mit der ein Inhalt bezeichnet wird. Gegenseitiges Verständnis ist nur möglich, wenn die sich schriftlich oder mündlich Verständigenden mit den von ihnen gebrauchten Bezeichnungen (Wörtern) den gleichen Inhalt meinen, sie also für die Wörter übereinstimmende Begriffsinhalte benützen. Die mangelhafte oder gar fehlende Übereinstimmung der Begriffsinhalte von Wörtern ist Ursache für Mißverständnisse und führt häufig zu einem Aneinander-Vorbeireden.
In unserer Zeit ist viel von Umweltverschmutzung die Rede, die schwerwiegende Folgen hat. Keine geringeren Folgen hat die Begriffsweltverschmutzung, die, um ein Beispiel zu nennen, von »modernen Theologen« bis zur Wortzersetzung betrieben wird und dadurch biblische Aussagen inhaltslos gemacht oder gar vergiftet werden. Wenn man den Wörtern der Geschriebenen falsche oder stark verstümmelte Inhalte zuordnet, führt das zwangsläufig zu einem falschen Verständnis.
Die Verantwortungslosigkeit der geistlichen Führer besteht darin, in dem ihnen unterstehenden Autoritätsbereich Wortverdreher und Wortzersetzer nicht zu entmündigen (d. h. aus dem Verkündigungsdienst herauszunehmen), sondern im Gegenteil zu autorisieren.
Leider ist aber die Begriffswelt jeder Sprache gegenüber den Grundtexten des Wortes Gottes babylonisch (durch Vermengung und damit Beseitigung der Artenreinheit) und diabolisch (infolge von Durcheinanderwerfungen, also Artentausch) verschmutzt, so daß jede Übersetzung des Wortes Gottes auch eine Beschmutzung dieses Wortes darstellt, die sich nicht vermeiden läßt, weil die Sprachelemente (Wörter, Grammatik, Syntax) nicht mehr rein sind. Hierin liegt die Not jedes verantwortungsbewußten Übersetzers des Wortes Gottes. Ein Rückweg aus dieser Notsituation ist in der Deutung, mit der auch Begriffsinhalte von Wörtern erklärt werden, gegeben. Wie durch die Deutung die Begriffsvermischung und Begriffsverwirrung gesteigert werden kann, so kann sie auch entscheidend gemindert werden. Die Herausführung aus dem begrifflichen BaBhä´L, gegen die (weil man Gewohntes ungern ablegt) auch unter Treuenden ein starker Widerstand besteht, ist nur durch Klärung (Entmischung) der Begriffe möglich. Diese Klärung ist entscheidend erleichtert, wenn in einer Übersetzung des Wortes Gottes unterschiedliche Grundtextwörter auch unterschiedlich übersetzt und gleiche Grundtextwörter möglichst einheitlich wiedergegeben werden. Dazu gehört, daß Wortfamilien des Grundtextes in der Übersetzung erkennbar sind. Ohne diese Vorklärung ist eine Rückführung aus dem Begriffs-BaBhä´L nur schwer zu erreichen, weil dem Leser eine mit den Wortsetzungen der gottgegeisteten Geschriebenen nicht übereinstimmende Wortprägung vorliegt, deren Unordnung er ohne Einsicht in eine Grundtextkonkordanz nicht erkennen und damit auch kaum entwirren kann.
Die geschilderte Problematik, die nicht nur für das Prophetische des Wortes Gottes vorliegt, zeigt den hohen Rang der Aufgabe, die in der Deutung biblischer Wörter liegt …«

Es ist den konkordanten Übersetzern vorgeworfen worden, daß sie durch technische Formtreue nicht in der Lage wären, das »Implikat« des Textes, also das, was unausgesprochen darin eingeschlossen und gemeint sei, zu übermitteln. Kurz: Man wirft ihnen indirekt vor, daß sie die Übersetzung nicht zum Mittel der Auslegung des Textes machen. Wer so denkt, weist dem Übersetzer die Aufgabe zu, den impliziten Bedeutungsanteil in der Übersetzung »auszulesen« und festzuschreiben. Damit erhält der Übersetzer aber die Deutungshoheit über den Text. Konkordante Übersetzungen beschränken sich auf die Übertragung des expliziten Bedeutungsanteils, vulgo: Des geschriebenen Textes. Allerdings ist hierbei anzumerken, daß es immer eine gewisse Grauzone gibt und daß wohl jeder Übersetzer gewisse implizite Informationen weiterreicht. Jedoch die Tendenz ist klar: Während »kommunikative« Übersetzungen dies als Tugend sehen und bis dahin treiben, daß die Übersetzung als Mittel der Exegese begriffen wird, meiden konkordante Übersetzungen dies, wo immer möglich. Die Textauslegung wird damit vom Übersetzer dorthin zurückgegeben, wo sie hingehört: Zum Leser. 

Daß dies auf Widerstand seitens der etablierten Theologie stößt, ist verständlich. Seit Beginn der Brüderbewegung im 19. Jahrhunderts tut Gott nämlich ganz Erstaunliches: Die Exegese (Auslegung) biblischer Texte, seit vielen Jahrhunderten fest in der Hand professioneller Kleriker (so fest, daß Besitz oder Auslegung der Bibel durch Laien zuzeiten mit höchst drakonischen, mitunter letalen Strafen unterbunden wurde) ward auf einmal zurückgelegt in die Hände der Zimmerleute, Fischer und Zeltemacher, denen sie von Anfang an anvertraut war. Lehrgerüste, die seit Jahrhunderten unstrittig schienen, wurden jetzt auf einmal von ebendiesen Arbeitsleuten mit der Bibel in der Hand hinterfragt. Die Deutungshoheit über die Schrift wurde plötzlich den Klerikern in Kirche und Universität entrissen. Nachdem man kirchlicherseits nun nicht mehr beeinflussen und kontrollieren konnte, was gepredigt, wie die Schrift ausgelegt wird, blieb vorerst die Übersetzung derselben die letzte klerikale Domäne. So ist zu erklären, daß die Verteidigung, ja Propagierung der Übersetzung als Mittel der Auslegung — was ja eigentlich für jeden »Bibeltreuen« eine Obszönität sondergleichen sein sollte — keinen Aufschrei der Empörung hervorruft. Die Vorverlagerung der Exegese von der Predigt in die Übersetzung hinein sehe ich als Rückzugsgefecht des universitären Klerus, die diesem einen Teil seines exegetischen Einflusses erhalten soll. Beim Übersetzen ist man noch unter sich, weitgehend unbehelligt vom Fußvolk der Schreiner, Fischer und sonstiger Hand-Werker. Kann man diesen das Wort nach dem Druck der Bibel schon nicht mehr auslegen, so tut man es nun vorher.

Der natürliche Feind des Klerus ist der mündige Christ. Wer die Exegese der Schrift als Übersetzer vorwegnimmt und sie damit dem Leser entzieht, entmündigt diesen. Dies wäre auch ein Erklärungsansatz, warum auf Seiteneinsteiger wie Baader so außerordentlich heftig reagiert wird, »Techniker«, die erstens keinen klerikalen Stallgeruch haben, zweitens nun auch noch den Schlüssel zum rohen, jeder Interpretation entkleideten Grundtext dem gemeinen Volke zur Verfügung stellen. Die Verblendung geht dabei so weit, daß im Abwehrgetümmel geistliche Fragen schon mal einer ästhetischen Beurteilung unterworfen werden: Schönes Deutsch, unschönes Deutsch, gar kein Deutsch. Wenn es aber um das Wort Gottes geht, dann will ich nicht wissen, ob da schön oder weniger schön übersetzt ist, da will ich nur wissen, was denn nun wirklich im Grundtext steht — und zwar explizit, damit ich dem impliziten Gehalt selbst nachforschen kann.

Einer der Kritiker konkordanten Übersetzens vergleicht den Übersetzer einem Fährmann, der seinen Kunden nicht nur bis zur Flußmitte bringen dürfe. Mit seinem Vergleich unterstellt er, daß es Aufgabe des Übersetzers sei, implizite Folgerungen aus dem Text auszuformulieren. Er sieht die Arbeit des Übersetzers erst dann als vollendet an, wenn im Denken des Lesers expliziter und impliziter Textbestandteil zusammengesetzt werden — freilich nach den Vorstellungen des Übersetzers. Lehre aber ist grundsätzlich von der Übersetzung zu trennen, denn Lehre muß geprüft werden, einer Übersetzung hingegen sollte man vertrauen können. Ich möchte den Übersetzer lieber einem Herold vergleichen: Er hat den Text seines Königs beim Adressaten abzuliefern. Seine Verantwortung liegt allein in der wörtlichen Übermittlung. Es ist nicht seine Aufgabe, zu erklären, was mit der königlichen Botschaft gemeint sein könnte. Im Gegenteil: Jeder Versuch, der Botschaft interpretierend aufhelfen zu wollen, würde als Eigenmächtigkeit geahndet werden. Über die Interpretation muß sich der Adressat schon selbst Gedanken machen. Wenn man aber unbedingt bei der Metapher des Fährmanns bleiben will, so wäre es nicht angemessen, zu sagen, daß der konkordante Übersetzer seinen Fahrgast nur bis zur Flußmitte bringt, sondern vielmehr, daß er ihn bei der ganzen Überfahrt zum »mitrudern« einlädt. Dies stärkt dessen Mündigkeit und auch seine »geistliche Muskulatur«.

Sicherlich ist es ideal, Altsprachenkenntnisse zu erwerben, um Detailfragen besser überprüfen zu können. Wem dies aber nicht möglich ist, dem geben die konkordanten Übersetzungen ein gutes Rüstzeug, um dem biblischen Text so nahe wie möglich zu kommen.

 

 

Nachtrag: Ein weiterer interessanter Artikel zum Thema findet sich hier.

 

 

 

Abb.: In der Flußmitte — schönes Bild eigentlich, aber schiefe Metapher.

 

Photo: © Geier

 

 

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