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Flaschenpost aus dem »Volksheim«


By Geier - Posted on 14 Januar 2011

16. Januar 2011

 

In Schweden bringen sich jedes Jahr ca. hundert Kinder um. Das sind soviele wie in Deutschland. Allerdings: Deutschland hat etwa achtzig Millionen Einwohner, Schweden acht. Gemessen an der Einwohnerzahl bringen sich in Schweden also zehnmal mehr Kinder um als in Deutschland, und viele dieser Kinder sind zwischen vier und sechs Jahren alt. Ein Drittel der schwedischen Vierjährigen leidet an psychischen Störungen.

Dieser Befund ist zwar über zwanzig Jahre alt, hat aber nichts an Bedeutsamkeit verloren. Denn das »Volksheim« Schweden hat viele Entwicklungen vorweggenommen, die in anderen Staaten der westlichen Welt erst mit einiger Verzögerung eintreten. Wenn wir uns die Bausteine ansehen, die zur weitgehenden Schwächung, ja Zerstörung der Familie in Schweden geführt haben, und die in dem fossilen Artikel* von Jan-Olaf Gustafsson beschrieben werden, aus dem ich die obenstehenden Angaben entnommen habe, müssen wir feststellen, daß einige dieser Bausteine inzwischen in die Rechtsordnungen Deutschlands und anderer Länder eingefügt wurden, während über den Einbau weiterer gerade diskutiert wird. Der Artikel ist wie eine Flaschenpost, der man erstaunt ein Zeugnis aus einer anderen Zeit entnimmt, nur um dann festzustellen, daß es eben doch nichts Neues unter der Sonne gibt.

Schon frühzeitig wurde in Schweden ein arbeitsteiliges Familienmodell steuerlich diskriminiert, das es einem Ehepartner ermöglicht, die Kinder häuslich zu betreuen, während der andere für das Familieneinkommen sorgt. Gustafsson schreibt von Ehepaaren, die sich auf dem Papier scheiden lassen, um es sich leisten zu können, zusammenzuleben! Die Abschaffung des Ehegattensplittings, die eine vergleichbare Tendenz verfolgt, wird in Deutschland just in diesen Tagen von der SPD in ihrem »Fortschrittsprogramm« gefordert.

Die körperliche Züchtigung von Kindern durch ihre Eltern, die in Schweden schon seit 1979 verboten ist, wurde in Deutschland im Jahr 2000 untersagt. Gerade wurde ein Elternpaar in Schweden zu Geld- und Gefängnisstrafen verurteilt — trotz gerichtlich festgestellter »liebevoller, fürsorglicher Beziehung zu ihren Kindern«, in der aber eben auch Schläge ihren Platz hatten. Die Kinder wurden in ein Heim eingewiesen, obwohl es keinerlei Anzeichen für Mißhandlung gab, und es ist unwahrscheinlich, daß die Kinder je zu ihren Eltern zurückkehren dürfen. Hier zeigt sich der totalitäre sozialistische Staat, der sich selbst die Vaterrolle anmaßt und tatsächlich das Kindswohl mit Füßen tritt, das zu verteidigen er vorgibt. Mit dem biblischen Wissen im Hinterkopf, daß das maßvolle Schlagen eines Knaben letztlich sein Leben rettet (Spr. 23, 13), fällt es schwer, den Zusammenhang zu übersehen zwischen dem radikalen schwedischen Züchtigungsverbot und der exorbitanten Kinderselbstmordrate. Kann man sagen, daß eine Gesellschaft, die ihren Kindern angemessene Zurechtbringung versagt, diese in den Tod treibt? Sicherlich wäre dieser Erklärungsansatz zu einseitig, denn es werden außerdem auch andere Faktoren eine Rolle spielen; einen realen Kern hat er aber mit Sicherheit.

Zu diesen »anderen Faktoren« gehört, daß der schwedische Staat schon damals jedem Kind zwischen ein und fünf Jahren einen Platz in einer öffentlichen Kindertagesstätte garantiert hat. Parallel dazu hat er, wie oben schon erwähnt, durch systematischen wirtschaftlichen Druck dafür gesorgt, daß auch wirklich die große Mehrheit der Eltern von diesem »Recht« Gebrauch machen muß, da sie es sich nicht leisten kann, ihre Kinder daheim zu erziehen. Dieselbe Tendenz erleben wir derzeit in Deutschland: Massiver Ausbau der staatlichen vorschulischen Kinderbetreuung unter Zuhilfenahme von Geldern, die den Eltern vorenthalten werden. Und wenn der Staat nicht gerade dabei ist, die Kinder anderer Leute zu erziehen, versucht er sich auch schon mal an der Erziehung der Eltern: Das sogenannte Elterngeld (das durchaus kein Geschenk ist) kann eine Familie nur dann vollständig in Anspruch nehmen, wenn auch der Vater mindestens zwei Monate zuhause bleibt und das jeweilige Kind versorgt. Nun ist nichts dagegen einzuwenden, wenn Väter sich um Kinder kümmern, aber erstens ist die interne Verteilung familiärer Aufgaben eben gerade nicht Sache des Staates, zweitens wird auch noch so viel staatliche Bevormundung nichts daran ändern, daß Väter das Stillen von Kindern nie zu ihren originären Aufgaben zählen werden: Hier setzt die Schöpfungsordnung dem staatlichen Drang nach Erschaffung des androgynen Menschen eben doch unüberschreitbare Grenzen. Wenn der Staat also de facto verordnet, daß in Deutschland Kinder nun bei Inkaufnahme finanzieller Nachteile länger als ein Jahr gestillt werden dürfen, ist das ein Zeichen dafür, wie tief staatliche Regelungswut schon heute in die Familienautonomie eingreift. Und während damals Gustafssohn in seinem Artikel beklagte, daß der Begriff Familie in Schweden aus den Gesetzestexten getilgt wurde und sowohl Familie als auch Elternschaft keinen Rechtsschutz mehr genießen, ist Hillary Clintons Außenministerium in den USA gerade dabei, die Begriffe »Vater« und »Mutter« aus den Antragsformularen für Pässe zu tilgen. Künftig soll es dort nur noch »Elter 1« und »Elter 2« heißen, was den Weg bereiten soll für »Eltern« gleichen Geschlechts. In der Schweiz ist eine ähnliche Regelung vor einem halben Jahr diskutiert worden, inzwischen aber wohl wieder vom Tisch.

Der Staat aber bekämpft das klassische Patriarchat nicht deshalb mit allen Mitteln, weil er Frauen und Kindern etwas Gutes tun will, sondern um sich des dadurch entstehenden Machtvakuums selbst zu bemächtigen. In jeder Gesellschaft müssen die drei Civilebenen Individuum, Familie und Staat ihre Kompetenzen gegeneinander abgrenzen und zu einem Gleichgewicht finden. In vormodernen Gesellschaften, auch in den Gesellschaftsbildern, die wir in der Bibel finden, war der Großteil der Verantwortung in der Familie konzentriert. Die wesentlichen Lebensentscheidungen wurden dort getroffen und auch die gegenseitige Fürsorge war fast ausschließlich Familienangelegenheit. Das Gros der Angelegenheiten, die für den Einzelnen wichtig waren, spielte sich auf der Familienebene ab. In der Regel haben staatliche Ordnungen diese familiäre Verantwortung auch respektiert, obwohl es immer wieder zu Interessenkonflikten zwischen Familie und Staat — zum Beispiel, wenn die Söhne, die dringend zur Arbeit auf dem Feld gebraucht wurden, zum Militärdienst ausgehoben wurden — oder gar zu mißbräuchlichen Übergriffen der Obrigkeit in den familiären Bereich gekommen ist. Der erste schwere und systematische Einbruch der staatlichen Ordnung in den familiären Verantwortungsbereich war ein Fluch, ein Gericht Jahwehs infolge der Rebellion des Volkes gegen ihn (1. Sam. 8, 11 — 18). Staat und Oikos[G] (Haus) waren nun erstmals nicht mehr auf Augenhöhe. Die moderne westliche Gesellschaft kennt nun beinahe nur noch die staatliche Struktur, der das einzelne Individuum gegenübersteht. Schrittweise Änderungen der Rechtsordnung haben die faktische Bedeutung der Familienebene immer mehr geschwächt und ihrer Vitalität beraubt. Besonders seit dem ersten Weltkrieg schreitet der Bedeutungsverlust der Familie in großen Schritten voran. Hauptsächlich totalitäre Staaten haben den Familienzusammenhalt zielgerichtet geschwächt, weil eine atomisierte Masse, die der natürlichen sozialen Strukturen entkleidet ist, leichter zu beherrschen ist, aber auch Demokratien erliegen im Wettbewerb um die Loyalität des Einzelnen, der zwischen Staat und Familie — wenn auch zumeist unbewußt — immer ausgetragen wird, leicht der Versuchung, die Familie zu schwächen und ihre Verantwortung zu beschneiden, um die staatliche Einflußsphäre auszudehnen. Mit diesem Wissen erhalten die volkspädagogisch orientierten familienpolitischen Weichenstellungen der letzten Jahrzehnte ein ganz anderes Gewicht.
Das heutige Menschenbild betont neben der staatlichen Autorität in sehr starkem Maße die Individualität des Menschen. Die Verantwortung, die früher im Familienverband konzentriert war, wird auf die Einzelperson verlagert, der im Gegenzug ein hohes Maß individueller Freiheit zugestanden wird, deren Grenzen nun nicht mehr primär die familiäre, sondern die staatliche Ordnung setzt. Also: Wo der familiäre Verantwortungsrahmen durch veränderte gesellschaftliche Verhältnisse schrumpft, wird in aller Regel der Staat das entstehende Machtvakuum ausfüllen. Der starke, gesunde Oikos[G] ist das Schreckensbild jedes Diktators. Nur Individuen sind leicht und ohne die Gefahr größeren Widerstandes zu beherrschen. So ergibt sich das Paradoxon, daß die extrem freiheitsfeindlichen Diktaturen des 20. Jahrhunderts wohl nicht möglich gewesen wären ohne die Freiheitsbestrebungen der Aufklärung, welche die Oikos-Ebene geschwächt und den Individualismus gestärkt haben. Das Patriarchat ist eines der Lieblingsfeindbilder der Moderne, aber keine patriarchalische Struktur hat je soviel Schaden anrichten können wie die neuzeitlichen Symbiosen aus Individualismus und starkem Staat, schon allein deshalb, weil der Einflußbereich eines jeden Patriarchen enge natürliche Grenzen hat. Und selbst die demokratische Gewaltenteilung, welche die schlimmsten Wucherungen staatlicher Totalität beschränken soll, ist bei weitem nicht so effektiv wie die natürliche Gewaltenteilung durch die Stärkung der mittleren, der familiären Gesellschaftsebene. Strenggenommen ist diese vielbeschworene Gewaltenteilung nur noch Augenwischerei: Denn die Teilung der Macht zwischen Legislative, Executive und Judicative ist nur eine Aufteilung der Macht zwischen verschiedenen staatlichen Organen. Der Staat teilt sich also seine Macht mit sich selbst. Sicher ist dies immer noch besser als eine offene Diktatur, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die eigentlich wirksame Gewaltenteilung, nämlich die zwischen Staat und Familie, zwischen Polis und Oikos, durch die Entmachtung der Familie beseitigt wurde. Der moderne demokratische Staat ist in dieser Hinsicht ein totaler, um nicht zu sagen: ein totalitärer Staat.

 

 

 

* Artikel von Jan-Olaf Gustafsson erschienen in HLI (Human Life International) 4/2001, Übersetzung von Lucie Zander

 

 

 

Siehe zum Thema auch die Geiernotizen »Unter Wölfen«, »Kinderverstaatlichung«, »Die Hand an der Wiege«, »So schön wie alle Tage Krieg«, »Bundesgebärmaschinen« und »… denn sie lassen sich formen wie Wachs«.

 

 

 

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