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Die Beseitigung der Fundamente · Teil 3


By Geier - Posted on 15 August 2012

15. August 2012

 

Wenn die Fundamente zerstört werden, was kann dann der Gerechte noch bewirken?

Ps. 11, 3

 

Die Zerstörung der Fundamente: Patriarchat

In Tunis haben dieser Tage Tausende, hauptsächlich Frauen, demonstriert. Grund ist ein Satz im Entwurf für die neue tunesische Verfassung, der besagt, daß Männer und Frauen einander ergänzen. Nun bin ich sicher ganz und gar unverdächtig, mich für die Ablösung arabischer Kleptokratien durch Sharia-basierte Regime zu begeistern, und ich bin auch einigermaßen irritiert ob der Unterstützung des Westens für solche Transformationen, die wir hier unter dem Euphemismus »Arabischer Frühling« präsentiert bekommen. Aber den Satz von der gegenseitigen Ergänzung der Geschlechter muß ich ehrlicherweise honorieren. Der Verfassungsentwurf wird von der derzeit regierenden Ennahda-Partei verantwortet, die von der einen Seite von radikalen Moslems, von der anderen von Liberalisten bedrängt wird. Die bisherige Verfassung von 1956 (nach anderen Quellen ein Gesetz aus dieser Zeit) postuliert Gleichberechtigung der Geschlechter. In der »Zeit« wird nun die Katze aus dem Sack gelassen und beanstandet: »Die [neue] Formulierung untergrabe die Gleichheit [sic!] der Geschlechter.« Aha! Es geht also gar nicht um gleiche Rechte, sondern um Gleichheit. Und da die Geschlechter nun einmal von Natur aus ungleich sind, geht es, dies lehrt die Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte seit der blutigen Proklamation des unseligen Grundsatzes »Egalité«, um Gleichmacherei, um Gleichschaltung, und, sofern es um die Geschlechter geht, um Androgynisierung.

Die Nachrichtenagentur Reuters zeigt derweil eine Demonstrantin, die erklärt: »Unser Ziel ist es, zu zeigen, daß tunesische Frauen keine Ergänzung zu den Männern sind. Sie sind unabhängig und gleichberechtigt mit den Männern. Wir werden uns niemals damit abfinden, daß wir nur eine Ergänzung zu den Männern sein sollen.« — Was heißt da »nur«? Ist dies nicht eine höchst ehrenwerte Berufung, tausendmal besser als eine sich selbst verwirklichende Lohnsklavin in irgendeinem Gewerbebetrieb zu sein?

Ich kann mir keine schönere, keine richtigere, keine der menschlichen Natur besser zugemessene Formulierung in einer Verfassung vorstellen als die vorgeschlagene, die besagt, daß Männer und Frauen einander ergänzen.

In Deutschland zum Beispiel hat die grundgesetzliche Festschreibung der Gleichberechtigung dazu geführt, daß das Bundesverfassungsgericht zwischen den unvereinbaren Verfassungsgrundsätzen »Gleichberechtigung« und »Schutz von Ehe und Familie« nicht etwa vorsichtig vermittelt hat, sondern sich eindeutig auf Seiten der Gleichberechtigung und damit gegen den Schutz von Ehe und Familie positioniert hat. Warum spreche ich von Unvereinbarkeit? Ehe und Familie sind nicht als Partnerschaft von Gleichen geschaffen worden, sondern als Gemeinschaft, in der unterschiedliche Begabungen und Verantwortungen einander ergänzen, helfen und ausgleichen. Sie basieren auf dem Zusammenleben der Unterschiedlichen. Schwach und stark, mündig und unmündig, erfahren und unerfahren sollen in der Familie in einem Solidarverbund gegenseitiger Ergänzung ein fruchtbares, funktionierendes Ganzes abgeben. Wer hier mit dem Gleichberechtigungshobel die Verschiedenen angleichen will, macht das Ineinandergreifen der unterschiedlichen Berufungen und Begabungen unmöglich. Er macht Familie unmöglich. Ehe ist darauf ausgelegt, das Unvollständige gegenseitig zu vervollständigen und steht damit dem menschlichen Selbstverwirklichungsstreben — also dem Wunsch, sich aus sich selbst heraus zu vervollständigen — entgegen. Andersherum formuliert: Eine Gemeinschaft von Gleichen kann keine Ehe sein. Sonst könnte man ja gleich — was für ein zutiefst lächerlicher Gedanke — Männer mit Männern oder Frauen mit Frauen verheiraten. Wer also die Verschiedenheit der Geschlechter planiert, beseitigt ein notwendiges, ein konstituierendes Element der Ehe.

Die »Ehe light«, die von Hamburger Grünen gefordert wird, haben wir also tatsächlich schon seit über sechzig Jahren: Es ist die enthauptete Partnerschaft der Gleichgeschalteten.

Was ist damals geschehen? Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber in den fünfziger Jahren gezwungen, Gehorsamsparagraphen und Stichentscheid — also die Pflicht des Mannes, bei Differenzen der Eheleute eine Entscheidung zu treffen — abzuschaffen und hat die Familie damit enthauptet. Es geschieht eine Enthauptung aber immer in Tötungsabsicht und mit Todeswirkung.

Es gibt keine gesellschaftliche Corporation, die hauptlos funktionieren könnte: Kein Staat, keine Armee, kein Wirtschaftsbetrieb, kein Verein, keine Partei, keine Schule oder Universität. Und natürlich ist klar, daß auch die Familie ihre Funktionalität, ja ihre blanke Überlebensfähigkeit einbüßt, wenn sie enthauptet wird. Jeder gesellschaftlichen Struktur wird eine Hauptschaft in irgendeiner Form zugestanden, ob diese nun Vorsitz, Direktorat, Kanzlerschaft, Leiterschaft oder anders heißt. Niemand würde auf die abstruse Idee kommen, daß man das Kanzleramt abschaffen müsse, weil dadurch alle diskriminiert würden, die nicht Kanzler sein können. Niemand würde den Aufsichtsrat eines Unternehmens auflösen, weil die Unterschiedlichkeit zwischen Aufsichtsrat und Produktionsarbeiter eine Diskriminierung darstellte. Niemand würde die Generäle nach Hause schicken, weil das Vorhandensein einer Hierarchie von Diensträngen jeden Gefreiten diskriminiert. Allein der Familie wird — unter dem Diskriminierungsvorwande — ihr natürliches Recht auf ein Haupt vorenthalten, nur hier soll die Unterschiedlichkeit der Aufgaben und Verantwortungen auf einmal diskriminierend sein.
Niemand, der einen anderen enthauptet, kann glaubhaft machen, er hätte nicht in Tötungsabsicht gehandelt. Eine Enthauptung ist immer eine Hinrichtung oder ein Mord. Jeder weiß das, niemand kann sich hier auf ein Versehen herausreden. Und so ist auch die Enthauptung der Familie ohne jeden Zweifel nichts anderes als ihre geplante, zielgerichtete, bewußte Ermordung. Die explodierten Scheidungszahlen seit den familienrechtlichen Änderungen der Fünfziger belegen dies nachträglich. Familie ist seit 1958 unbeherrschbar; dem Schiff wurde das Steuer abgeschlagen. Nun kann man zwar mitunter sehr weit reisen, ohne überhaupt einem Riff, einer Sandbank oder einem Eisberg zu begegnen, und vielleicht kommt man sogar zufällig irgendwo an, ohne zu sinken. Aber sobald man einem ernsthaften Hindernis begegnet und kein Steuer hat, ist das Schiff verloren. Das Steuer ist nicht irgendein überflüssiges Sonderzubehör, es gehört zur essentiellen Ausrüstung eines jeden Schiffes.
Heute kann Familie nur dort noch bestehen, wo ein gesundes Hauptschafts-Körperschafts-Verhältnis freiwillig und unabhängig von staatlichem Einfluß — quasi im Untergrund — gelebt wird, ohne jedoch juristisch abgesichert zu sein. Das bürgerliche Recht selbst kennt keine lebensfähige Familienform mehr.

Über die Gründe für die Decapitation der Familie hatte ich früher schon geschrieben. Der enthauptete Kadaver ist eine leichte Beute des Staates, der in seinem großen Magen die übriggebliebenen Bestandteile verdaut:

Der Staat aber bekämpft das klassische Patriarchat nicht deshalb mit allen Mitteln, weil er Frauen und Kindern etwas Gutes tun will, sondern um sich des dadurch entstehenden Machtvakuums selbst zu bemächtigen. In jeder Gesellschaft müssen die drei Civilebenen Individuum, Familie und Staat ihre Kompetenzen gegeneinander abgrenzen und zu einem Gleichgewicht finden. In vormodernen Gesellschaften, auch in den Gesellschaftsbildern, die wir in der Bibel finden, war der Großteil der Verantwortung in der Familie konzentriert. Die wesentlichen Lebensentscheidungen wurden dort getroffen und auch die gegenseitige Fürsorge war fast ausschließlich Familienangelegenheit. Das Gros der Angelegenheiten, die für den Einzelnen wichtig waren, spielte sich auf der Familienebene ab. In der Regel haben staatliche Ordnungen diese familiäre Verantwortung auch respektiert, obwohl es immer wieder zu Interessenkonflikten zwischen Familie und Staat — zum Beispiel, wenn die Söhne, die dringend zur Arbeit auf dem Feld gebraucht wurden, zum Militärdienst ausgehoben wurden — oder gar zu mißbräuchlichen Übergriffen der Obrigkeit in den familiären Bereich gekommen ist. Der erste schwere und systematische Einbruch der staatlichen Ordnung in den familiären Verantwortungsbereich war ein Fluch, ein Gericht Jahwehs infolge der Rebellion des Volkes gegen ihn (1. Sam. 8, 11 — 18). Staat und Oikos[G] (Haus) waren nun erstmals nicht mehr auf Augenhöhe. Die moderne westliche Gesellschaft kennt nun beinahe nur noch die staatliche Struktur, der das einzelne Individuum gegenübersteht. Schrittweise Änderungen der Rechtsordnung haben die faktische Bedeutung der Familienebene immer mehr geschwächt und ihrer Vitalität beraubt. Besonders seit dem ersten Weltkrieg schreitet der Bedeutungsverlust der Familie in großen Schritten voran. Hauptsächlich totalitäre Staaten haben den Familienzusammenhalt zielgerichtet geschwächt, weil eine atomisierte Masse, die der natürlichen sozialen Strukturen entkleidet ist, leichter zu beherrschen ist, aber auch Demokratien erliegen im Wettbewerb um die Loyalität des Einzelnen, der zwischen Staat und Familie — wenn auch zumeist unbewußt — immer ausgetragen wird, leicht der Versuchung, die Familie zu schwächen und ihre Verantwortung zu beschneiden, um die staatliche Einflußsphäre auszudehnen. Mit diesem Wissen erhalten die volkspädagogisch orientierten familienpolitischen Weichenstellungen der letzten Jahrzehnte ein ganz anderes Gewicht.
Das heutige Menschenbild betont neben der staatlichen Autorität in sehr starkem Maße die Individualität des Menschen. Die Verantwortung, die früher im Familienverband konzentriert war, wird auf die Einzelperson verlagert, der im Gegenzug ein hohes Maß individueller Freiheit zugestanden wird, deren Grenzen nun nicht mehr primär die familiäre, sondern die staatliche Ordnung setzt. Also: Wo der familiäre Verantwortungsrahmen durch veränderte gesellschaftliche Verhältnisse schrumpft, wird in aller Regel der Staat das entstehende Machtvakuum ausfüllen. Der starke, gesunde Oikos
[G] ist das Schreckensbild jedes Diktators. Nur Individuen sind leicht und ohne die Gefahr größeren Widerstandes zu beherrschen. So ergibt sich das Paradoxon, daß die extrem freiheitsfeindlichen Diktaturen des 20. Jahrhunderts wohl nicht möglich gewesen wären ohne die Freiheitsbestrebungen der Aufklärung, welche die Oikos-Ebene geschwächt und den Individualismus gestärkt haben. Das Patriarchat ist eines der Lieblingsfeindbilder der Moderne, aber keine patriarchalische Struktur hat je soviel Schaden anrichten können wie die neuzeitlichen Symbiosen aus Individualismus und starkem Staat, schon allein deshalb, weil der Einflußbereich eines jeden Patriarchen enge natürliche Grenzen hat. Und selbst die demokratische Gewaltenteilung, welche die schlimmsten Wucherungen staatlicher Totalität beschränken soll, ist bei weitem nicht so effektiv wie die natürliche Gewaltenteilung durch die Stärkung der mittleren, der familiären Gesellschaftsebene. Strenggenommen ist diese vielbeschworene Gewaltenteilung nur noch Augenwischerei: Denn die Teilung der Macht zwischen Legislative, Executive und Judicative ist nur eine Aufteilung der Macht zwischen verschiedenen staatlichen Organen. Der Staat teilt sich also seine Macht mit sich selbst. Sicher ist dies immer noch besser als eine offene Diktatur, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die eigentlich wirksame Gewaltenteilung, nämlich die zwischen Staat und Familie, zwischen Polis und Oikos, durch die Entmachtung der Familie beseitigt wurde. Der moderne demokratische Staat ist in dieser Hinsicht ein totaler, um nicht zu sagen: ein totalitärer Staat.

Nun ist dies ja ein biblischer Befund, und ich war genauso erstaunt wie erfreut, zu entdecken, daß dieser von völlig unerwarteter Seite her gestützt wird. In seinem lesenswerten Aufsatz »Rechtsproblem Familie« schreibt der bekannte Staatsrechtler Prof. Dr. K. A. Schachtschneider:

»Noch unter dem Grundgesetz gab es die väterliche Gewalt in der Familie, die an dem Gleichberechtigungsprinzip des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 2) gescheitert ist, in letzter Konsequenz erst 1961. Aber der Gesetzgeber ist zu weit gegangen. Er hat den Gewaltbegriff (elterliche Gewalt) durch den der (elterlichen) Sorge ersetzt und damit der Familie die Ordnungsmacht abgesprochen. Familiengewalt ist wie Staatsgewalt die Möglichkeit und Befugnis, Ordnung zu schaffen, zu befrieden, … . Die Ordnungsmacht beansprucht jetzt auch in der Familie allein der Staat. Damit hat der Staat das wohl wichtigste Element der Gewaltenteilung beseitigt und sich vollends zum totalen Staat entwickelt. Die meisten Abgeordneten werden nicht geahnt haben, daß sie die Verfassung in ihren Grundlagen verändern würden, als sie die elterliche Gewalt abgeschafft haben. Schließlich hat es auch das Bundesverfassungsgericht nicht bemerkt. Der gutmenschliche Zeitgeist war durchgreifender als das Staatsrecht. Aber auch in den Lehrbüchern des Familienrechts findet man nichts zu dieser Problematik, geschweige denn in den Lehrbüchern zum Staatsrecht. Erst in jüngster Zeit hat der Staat die Familienverhältnisse völlig verrechtlicht und dadurch die Menschen auch in der Familie, sei es als Untertanen, sei es als Bürger, jedenfalls als Rechtssubjekte, vereinzelt. Er hat damit, wenn man so will, entgegen dem Subsidiaritätsprinzip die stärkste intermediäre Gewalt entmachtet und der Familie ihren eigentlichen Status genommen, den körperschaftlichen Status. Das Subsidiaritätsprinzip gibt der kleinen Ordnungsmacht den Vorrang vor der größeren und sichert dadurch die Republikanität des Gemeinwesens, nämlich die Freiheit durch die vielfältige Teilung, aber auch die größtmögliche Nähe der Ordnungsgewalt zur Ordnungsaufgabe. Die res publica ist ohne die domus [Haus] mit der potestas [Verfügungsgewalt] des pater familias [Hausherr, Patriarch] nicht vorstellbar. Die Verrechtlichung ist Verstaatlichung der Familienverhältnisse und Auflösung der Familie in einzelne Rechtsverhältnisse. Das hat, wie wir heute einsehen müssen, der Familie und dem Staat mehr geschadet als genützt. Es war diese eigenständige, wesentlich private, vom Staat unabhängige Familie, welche das Grundgesetz unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt hat. Darum waren fraglos „Pflege und Erziehung“ der Kinder das „natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“ (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG). Diesem Familienstatus sind weder der Gesetzgeber noch gar die Rechtsprechung gerecht geworden. Heute wird ein solcher Familienbegriff kaum noch verstanden

An anderer Stelle schreibt Schachtschneider:

»Aber unser Staat weiß nicht mehr, wie er die Familie schützen soll, schon weil er nicht mehr weiß, was eine Familie ist.«

Dem ist hinzuzufügen: Auch die meisten Christen wissen dies nicht mehr und werden hier von einem weltlichen Staatsrechtsprofessor beschämt.

 

Die Beseitigung der Fundamente · Teil 1

Die Beseitigung der Fundamente · Teil 2

 

 

Photo: © Geier

 

 

 

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