Sie befinden sich hierTotentaufe?

Totentaufe?


By Geier - Posted on 12 Oktober 2009

12. Oktober 2009

 

Schwierige Bibelstellen erklärt: 1. Kor. 15, 29 

Falsche Tauflehren führen mitunter zu bizarren Praktiken. So sind im Gefolge der Taufwiedergeburts(irr)lehre neben der Säuglings»taufe« zum Beispiel die Zwangs- und Nottaufen entstanden. Das eigentümlichste Instrument der Nottaufe ist die Taufspritze, die seit dem vierzehnten Jahrhundert in katholischen Gegenden verpflichtend zur Ausrüstung der Hebamme gehörte und deren vereinzelter Gebrauch sogar noch bis nach dem zweiten Weltkrieg belegt ist. War es nicht sicher, ob ein Kind die Geburt überleben würde, mußte die Hebamme mittels dieser Spritze das Kind vor der Geburt mit Weihwasser »taufen«. Da das Weihwasser für diese Gelegenheiten lange aufbewahrt werden mußte, war es oft mit Keimen kontaminiert, bis es zum Einsatz kam. So wurde diese Prozedur vielen Müttern zum frühen Tod im Wochenbett, da sie durch das Weihwasser infiziert wurden.
Eine andere bizarre Taufpraxis ist die Totentaufe, wie sie zum Beispiel von den Mormonen praktiziert wird, die Lebende stellvertretend für Verstorbene taufen. Dieses Gebaren gründet sich auf ein falsches Verständnis von 1. Kor. 15, 29. Zwar lehnt die Mehrheit der Christen die Totentaufe instinktiv als Irrlehre ab, trotzdem würden die meisten ins Schleudern kommen, wenn sie die erwähnte Bibelstelle richtig erklären sollten.

Das ist auch nicht verwunderlich, weil die meisten Übersetzungen ihnen hier dicke Steine in den Weg legen. Ganz allgemein mache ich mit genaueren Übersetzungen die Erfahrung, daß sich Schriftstellen erschließen, die man vorher nicht verstanden oder einfach überlesen hat. In diesem Fall ist es aber wahrscheinlich überhaupt kaum möglich, anhand von Luther, Schlachter, Elberfelder oder anderen nichtkonkordanten Übersetzungen zu einer plausiblen Erklärung von 1. Kor. 15, 29 zu kommen:

»Was werden sonst die tun, die für die Toten getauft werden, wenn überhaupt Tote nicht auferweckt werden? Warum werden sie auch für sie getauft?«
(Elberfelder Übersetzung)

Als ich sie zum ersten mal in der Konkordanten Übersetzung gelesen habe, konnte ich sie hingegen sofort verstehen:

»Sonst, was werden die tun, [die] sich taufen lassen? Für die Toten, wenn Tote allgemein nicht auferweckt würden? Was [soll] man sich für sie noch taufen lassen?«

Man muß zum Verständnis dieses Verses beachten, daß die Interpunktion, die wir im Deutschen haben, im Grundtext nicht vorhanden ist. Nichtkonkordante Übersetzungen lassen außerdem keine Rückschlüsse auf die Wortstellung innerhalb des Satzes zu. Interpunktionslos heißen die Worte in ihrer richtigen Reihenfolge:


»denn was werden tun die sich taufenlassenden für die Toten wenn überhaupt Tote nicht auferstehen warum auch lassen sie sich taufen für sie«


Die meisten Übersetzungen unterteilen nun wie folgt:

»denn was werden tun   |  die sich taufenlassenden für die Toten   |  wenn überhaupt Tote nicht auferstehen  |   warum auch lassen sie sich taufen für sie«

Sie fassen hier die Wortgruppe »die sich taufenlassenden für die Toten« zu einer Sinneinheit zusammen und erhalten damit den Begriff der »Totentaufe«, der im günstigeren Fall unverständlich bleibt, im ungünstigeren Fall zu Irrlehren führt.


Der Satz läßt sich aber auch ganz anders gruppieren, nämlich:

»denn was werden tun die sich taufenlassenden 
|   für die Toten  |   wenn überhaupt Tote nicht auferstehen warum auch lassen sie sich taufen   |  für sie«

bzw. mit deutscher Interpunktion:

»Denn was werden tun die sich taufenlassenden? Für die Toten? Wenn überhaupt Tote nicht auferstehen? Warum auch lassen sie sich taufen? Für sie?«

Die Konkordante Übersetzung übersetzt in diesem Sinne:

»Sonst, was werden die tun, die sich taufen lassen? (Es wäre ja) für die Toten, wenn Tote allgemein nicht auferweckt würden. Was soll man sich für sie noch taufen lassen?«

Wir wissen, daß die Taufe das Sterben (untertauchen) und Auferwecktwerden (auftauchen) zusammen mit Christos darstellt. Sehen wir uns jetzt den Context der umliegenden Verse, das gesamte Kapitel 15 an: Paulos schreibt hier von Sterben und Auferstehen. Es gab offensichtlich in Korinth solche, die an der Auferstehung Erstorbener zweifelten (Vers 12ff). Paulos erklärt, wie central die Botschaft vom Sterben und Auferstehen ist und daß all unsere Zuversicht umsonst wäre, wenn es keine Auferstehung gäbe. Innerhalb dieser Argumentationsentfaltung sagt Paulos nun auch (sinngemäß): Warum sollte — wenn es denn keine Auferstehung gäbe — überhaupt jemand sich taufen lassen? Er würde ja sterben, nicht aber auferstehen. Er würde nur in den Tod hinein (also für die Toten, bzw. um bei den Toten zu bleiben) getauft werden. Die Taufe hätte dann keinen Sinn, er stünde ja nicht besser da als vordem. Erst durch die Auferstehung, das Auftauchen, hat die Taufe Sinn, sonst wäre sie vergeblich. Nochmals der Vers wörtlich:

»Denn was werden tun die sich taufenlassenden? Für die Toten? Wenn überhaupt Tote nicht auferstehen? Warum auch lassen sie sich taufen? Für sie?«

Dieses »Für sie?« heißt hier also sinngemäß: »Etwa um bei ihnen, den Toten zu bleiben?«. Aus der offensichtlichen Unsinnigkeit, bei der Taufe »unter Wasser zu bleiben«, also zu sterben, nicht aber aufzuerstehen, leitet Paulos hier den Nachweis der Auferstehung ab.

Das ganze 15. Kapitel behandelt das Thema Auferstehung. Wenn wir Vers 29 wie hier beschrieben verstehen, paßt er auch auf einmal vorzüglich und bruchfrei in den Textzusammenhang. Denken wir allerdings an (stellvertretende) »Totentaufe«, steht der Vers völlig isoliert da — nicht nur im Kapitel, sondern in der ganzen Schrift. Entweder wir verstehen ihn dann gar nicht, oder falsch, wie die oben erwähnte Praxis der Totentaufe zeigt.

Man sieht an diesem Beispiel, daß es möglicherweise wichtig ist, daß man in einer Bibelübersetzung selbst Details wie die ursprüngliche Wortstellung im Grundtext nachvollziehen kann.

 

 

 

 

Free Tagging (Freies Zuweisen von Kategorien)

Rückblick 1. Lesertreffen

Beliebte Inhalte



CAPTCHA
Diese Frage hat den Zweck, zu testen, ob man ein menschlicher Benutzer ist und um automatisiertem Spam vorzubeugen.
Bild-CAPTCHA
Bitte die im Bild dargestellten Buchstaben (ohne Leerzeichen) eingeben.

Geierpost buchen

Inhalt abgleichen