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Geschichte

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Vergessenes Lehrstück: Die »Lateinische Münzunion«

9. Februar 2013

 

Aus der Geschichte kann man lernen, daß der Mensch aus der Geschichte nichts lernt. Während viele Europäer heute die Frage nach der künftigen Stabilität des europäischen Währungsverbundes umtreibt, ist beinahe völlig aus dem Blick geraten, daß mit dem Euro ja durchaus nicht die erste neuzeitliche Währungsunion in Europa begründet wurde. Schon ab 1865 hatte es mit der »Union monétaire latine« eine Währungsunion gegeben, die mit Frankreich, Belgien, Italien, der Schweiz und Griechenland einen großen Bereich des europäischen Festlandes vereinigte. Großbritannien und Preußen blieben auf Distanz: Daß hier Länder einerseits in einer Währungsunion zusammenfanden, die andererseits weiterhin durch eigene Zentralbanken die Geldmenge jeweils souverän steuern konnten, war ein gewagtes Konstrukt, dem sie wenig abgewinnen konnten. Trotzdem übernahm nach und nach ein knappes Dutzend weiterer Länder faktisch den Standard der Union, ohne dem Vertrag förmlich beizutreten. Dies war möglich, weil die Währungen der teilnehmenden Länder ihre historischen Bezeichnungen beibehielten; sie waren jedoch durch einen normierten Gold- bzw. Silbergehalt der Münzen wertgleich und damit frei tauschbar. Sogar Belgisch-Kongo war zeitweise offizielles Mitglied.

Erstaunlich ist, daß die Lateinische Münzunion heute so wenig öffentliche Beachtung findet, gibt es bei aller Unterschiedlichkeit doch interessante und lehrreiche Parallelen zur derzeitigen europäischen Währungsgemeinschaft.

Stefan Frank · Kreditinferno — Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos

8. Januar 2012

 

Stefan Frank
Kreditinferno

Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos

248 Seiten
€ 14,90
ISBN-13: 978-3941657595
Conte-Verlag Saarbrücken

 

Obwohl die meisten Menschen täglich mit Geld umgehen, haben sie wenig Wissen über das Wesen des Geldes. Franks Buch ist hervorragend geeignet, um den interessierten Laien in die Grundbegriffe der Geldwirtschaft einzuführen und ihm einen groben Überblick über die monetäre Geschichte zu verschaffen: Was ist Geldschöpfung? Was ist Buchgeld? Wie funktioniert das Teilreservesystem? Was sind die Tricks der Statistiker, um die Inflation schönzurechnen? Ist Deflation wirklich eine volkswirtschaftliche Bedrohung oder nur ein künstliches Gespenst, das von der laufenden Geldentwertung ablenken soll?

Orlando Figes · Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne

29. November 2012


Orlando Figes

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne
Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors

Hanser Berlin

384 Seiten, gebunden, 24,90 €
ISBN 978-3-446-24031-5


 

 

Man kann Geschichte vermitteln, indem man die großen historischen Eckdaten referiert. Man kann aber auch über die unmittelbare Lebenswirklichkeit der Menschen einer Epoche erzählen, und dadurch ein viel lebendigeres Bild zeichnen. Daß der Historiker und Rußland-Spezialist Orlando Figes Meister der Kunst ist, Geschichte so darzustellen, daß sie unmittelbar erlebbar wird, hat er schon mit Büchern wie »Die Flüsterer« oder »Die Tragödie eines Volkes« gezeigt. Sein neues Buch, »Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne«, ist thematisch schmaler aufgestellt als diese großen Bücher. Es erzählt die Geschichte des Moskauer Paares Lew und Sweta, das zunächst durch den Krieg getrennt wird. Als Lew aber aus deutscher Kriegsgefangenschaft zurückkehrt, wird er in das Straflager Petschora im russischen Norden verbracht — ein Schicksal, das er mit unzähligen weiteren russischen Kriegsheimkehrern teilt, denn in der stalinistischen Sowjetunion galt allein die Tatsache der Kriegsgefangenschaft schon als Indiz für eine Kollaboration mit dem Feind.

Der Semmelweis-Reflex

13. September 2012

 

Mitte des 19. Jahrhunderts in Wien: In der geburtshilflichen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses sterben mehr als 17 Prozent der Gebärenden am Kindbettfieber. In anderen Kliniken kommen sogar Sterberaten bis zu 30 Prozent vor. Besonders auffällig ist, daß die Sterblichkeit dort, wo Ärzte und Medizinstudenten arbeiten, um ein vielfaches höher ist als dort, wo die Hebammenschülerinnen ausgebildet werden. Als schließlich sein Freund, der Pathologe Kolletschka, nach einer kleinen Verletzung bei einer Leichensektion an den gleichen Symptomen stirbt wie die Mütter, zählt der junge Arzt Ignaz Philipp Semmelweis eins und eins zusammen. Er kommt zu dem Schluß, daß die Mütter an Infektionen sterben, die von den Ärzten übertragen werden, die damals zwischen Pathologie und Kreißsaal wechselweise mit bloßen Händen Tote sezierten und Wöchnerinnen untersuchten. Dort, wo Semmelweis schließlich die Desinfektion der Hände mit Chlorkalk durchsetzen kann, gelingt es ihm, die Mortalitätsrate von 17 auf 1,3 Prozent zu drücken.

Benzin am Stiel

29. August 2012

 

Die Älteren erinnern sich vielleicht noch: In den Fünfzigern wurde in der DDR gesungen: 

Der Mais, der Mais, wie jeder weiß,
das ist ein strammer Bengel,
der Mais, der Mais, wie jeder weiß,
das ist die Wurst am Stengel.

Damals hatte die chruschtschowsche Agrarpolitik, die natürlich auch auf die sowjetischen Satellitenstaaten des Ostblocks ausstrahlte, den Maisanbau drastisch forçiert. Hintergrund war der deutlich geringere Pro-Kopf-Fleischverbrauch im Vergleich zum Westen. Der Mais sollte als Kraftfutter für die Schweinemast das Fleischangebot vervielfachen und somit den Abstand des Lebensstandards verringern. Was in der Theorie noch ganz vernünftig erschien, scheiterte an der Praxis: 45 Millionen Hektar Neuland hatte Chruschtschow mit Mais bebauen lassen, die Propagandamaschinerie feierte den Mais als »Friedensrakete« und »Wurst am Stengel«. Aber weder die Böden noch die klimatischen Verhältnisse waren geeignet, den Erfolg, den die Landwirtschaft der USA mit dem Mais hatte, einfach in der Sowjetunion zu kopieren. Teile der sowjetischen Landwirtschaft (und auch der in der DDR) wurden durch die verfehlte Politik ruiniert, in den Sechzigern zog Chruschtschow in der Maisfrage schließlich die Notbremse.

Die Beseitigung der Fundamente · Teil 3

15. August 2012

 

Wenn die Fundamente zerstört werden, was kann dann der Gerechte noch bewirken?

Ps. 11, 3

 

Die Zerstörung der Fundamente: Patriarchat

In Tunis haben dieser Tage Tausende, hauptsächlich Frauen, demonstriert. Grund ist ein Satz im Entwurf für die neue tunesische Verfassung, der besagt, daß Männer und Frauen einander ergänzen. Nun bin ich sicher ganz und gar unverdächtig, mich für die Ablösung arabischer Kleptokratien durch Sharia-basierte Regime zu begeistern, und ich bin auch einigermaßen irritiert ob der Unterstützung des Westens für solche Transformationen, die wir hier unter dem Euphemismus »Arabischer Frühling« präsentiert bekommen. Aber den Satz von der gegenseitigen Ergänzung der Geschlechter muß ich ehrlicherweise honorieren. Der Verfassungsentwurf wird von der derzeit regierenden Ennahda-Partei verantwortet, die von der einen Seite von radikalen Moslems, von der anderen von Liberalisten bedrängt wird. Die bisherige Verfassung von 1956 (nach anderen Quellen ein Gesetz aus dieser Zeit) postuliert Gleichberechtigung der Geschlechter. In der »Zeit« wird nun die Katze aus dem Sack gelassen und beanstandet: »Die [neue] Formulierung untergrabe die Gleichheit [sic!] der Geschlechter.« Aha! Es geht also gar nicht um gleiche Rechte, sondern um Gleichheit. Und da die Geschlechter nun einmal von Natur aus ungleich sind, geht es, dies lehrt die Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte seit der blutigen Proklamation des unseligen Grundsatzes »Egalité«, um Gleichmacherei, um Gleichschaltung, und, sofern es um die Geschlechter geht, um Androgynisierung.

Die Nachrichtenagentur Reuters zeigt derweil eine Demonstrantin, die erklärt: »Unser Ziel ist es, zu zeigen, daß tunesische Frauen keine Ergänzung zu den Männern sind. Sie sind unabhängig und gleichberechtigt mit den Männern. Wir werden uns niemals damit abfinden, daß wir nur eine Ergänzung zu den Männern sein sollen.« — Was heißt da »nur«? Ist dies nicht eine höchst ehrenwerte Berufung, tausendmal besser als eine sich selbst verwirklichende Lohnsklavin in irgendeinem Gewerbebetrieb zu sein?

Ich kann mir keine schönere, keine richtigere, keine der menschlichen Natur besser zugemessene Formulierung in einer Verfassung vorstellen als die vorgeschlagene, die besagt, daß Männer und Frauen einander ergänzen.

Henryk M. Broder · »Vergeßt Auschwitz!«

12. März 2012

 

Henryk M. Broder

»Vergeßt Auschwitz!«

Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage

 

Gebunden, 176 Seiten, € 16,99

Albrecht Knaus Verlag

ISBN 978-3813504521

 

Gelegentlich fällt es nicht ganz leicht, Broder ernstzunehmen. Mit seinem Hang zur Kasperei leistet er sich mitunter Provokationen, die völlig unnötig scheinen. Und doch bringt er andererseits immer wieder wichtige und kluge Impulse in den öffentlichen Diskurs ein.

Über Recht und Unrecht

11. Februar 2012

 

Am Donnerstag wurde Axel Hüls zu einem Jahr und sechs Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Ein Leser der Geiernotizen hat die Verhandlung in Lüneburg verfolgt. Es ist grundsätzlich anzuerkennen, daß Axel Hüls vom Gericht im Rahmen des Möglichen fair behandelt wurde. Im Rahmen des Möglichen heißt hier: Ein Richter kann natürlich nicht gemäß Bibel rechtsprechen, sondern nur nach den Gesetzen der Bundesrepublik. So wurde die gemeinsame Flucht von Axel, Jonas, Benjamin, Miriam und Lisa Hüls als »Kindesentziehung« verurteilt, die Tatsache, daß der Vater hierzu Dokumente der Kinder an sich nehmen mußte, als »Einbruchsdiebstahl«. Aber Richter Thomas Wolter hat sich gemüht, auch die geistlichen Beweggründe, die Hüls für sein Handeln vorgebracht hat, anzuhören, zu erörtern und zu gewichten. Die Zwangslage, in der er sich befunden hat — innerhalb des civilrechtlichen Rahmens hatte er keine Möglichkeit mehr, in angemessener Weise für seine Kinder zu sorgen — wurde bei der Bemessung des Strafmaßes eingerechnet, das jetzt immerhin ein Jahr weniger beträgt, als von der Staatsanwaltschaft gefordert. Der theoretisch mögliche Strafrahmen reichte von der Verhängung einer Bewährungsstrafe bis hin zu einer Haftstrafe von mehr als zehn Jahren. Katja Hüls hatte als Nebenklägerin gegen ihren eigenen Mann darauf gedrängt, daß dieser nicht mit einer Bewährungsstrafe davonkomme. Den vorangegangenen penetranten Bemühungen von Frau Hüls und dem mit ihr verbündeten Pfarrer Heine, Axel Hüls zu pathologisieren, indem sie wiederholt Zweifel an seiner geistigen Gesundheit streuten, wurde vor Gericht eine Absage erteilt: Er mag eigenwillig sein, aber ein Psychopath, so hat der Gutachter festgestellt, ist er jedenfalls nicht.

Das Dilemma der Rechtsprechung besteht hier darin, daß die Gesetzeslage ein gerechtes Urteil nicht erlaubte. Ich will etwas weiter ausholen, um dies zu erklären:

»lebensunwertes Leben«

1. Februar 2012

 

Kulaken!

Untermenschen!

Zellklumpen!

Eine seltsame Zusammenstellung ist das. Und trotzdem verbindet diese Begriffe eine Gemeinsamkeit, eine ideologische Kontinuität — von Lenin bis Schwarzer sozusagen: Immer wenn einer Bevölkerungsgruppe ein Krieg erklärt wird, der ihre weitgehende Vernichtung zum Ziel hat, wird diese zuvor mit Begriffen belegt, die sie außerhalb der menschlichen Gesellschaft stellen sollen. Es gibt legitime Begriffe, mit denen sich Gruppen von Menschen voneinander abgrenzen — nach religiöser, sozialer, oder ethnischer Zugehörigkeit oder anderen typischen Merkmalen. Aber mit Begriffen wie den obengenannten wird signalisiert: Hier liegt eine Feindschaft vor, die man nicht mehr überwinden will. Hier gibt es nichts zu verhandeln, nichts zu diskutieren, hier wird nur noch nach der »Endlösung« gestrebt.

Will man ungestraft morden, muß man entweder den Mord umdefinieren oder das Opfer. Ernesto »Che« Guevara zum Beispiel hat den Mordbegriff umgedeutet, indem er ihn der Nützlichkeit unterworfen hat. Als Kommandeur der Erschießungskommandos in Havanna hat er betont, daß er keinen Nachweis der persönlichen Schuld der Hinzurichtenden benötige: Es genüge ihm, daß die Hinrichtung für die Revolution nützlich sei. So ließ er auch Kinder erschießen, deren Familien sich gegen die Enteignung ihres Landes gesträubt hatten oder geistig Behinderte.

Citat des Tages XLVII

29. Dezember 2011

 

Nachdem die britische Kolonialverwaltung in Indien die Tradition des Sati — die (Selbst-)verbrennung einer lebenden Witwe auf dem Scheiterhaufen, auf dem auch ihr verstorbener Mann verbrannt wird — verboten hatte, beschwerten sich einige Hindu-Priester bei Gouverneur Charles Napier, daß das Verbot der Witwenverbrennung ihren Bräuchen widerspräche. Es ist von ihm die Antwort überliefert:

»So sei es denn. Solches Verbrennen von Witwen ist Euer Brauch; so bereitet den Scheiterhaufen. Aber auch meine Nation hat einen Brauch. Wenn Männer Frauen lebendig verbrennen, so hängen wir sie und ziehen all ihren Besitz ein. Deswegen werden meine Zimmerleute Galgen errichten, um daran alle zu hängen, die beteiligt sind, wenn die Witwe verbrennt. So laßt uns alle gemäß unserer nationalen Bräuche handeln.«

(Im englischen Original: »Be it so. This burning of widows is your custom; prepare the funeral pile. But my nation has also a custom. When men burn women alive we hang them, and confiscate all their property. My carpenters shall therefore erect gibbets on which to hang all concerned when the widow is consumed. Let us all act according to national customs.«)

 

 


Abb. gemeinfrei

 

 

  

Rückblick 1. Lesertreffen

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