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Kastraten


By Geier - Posted on 10 Juli 2010

10. Juli 2010

 

Das (frei)kirchliche Missionsmodell macht den Nichtkleriker zu einem »Einlader«. Wohl soll er Freunde und Collegen durchaus in die Versammlungen mitbringen, wo sie dann jedoch von professionellen Predigern — am besten bei speziellen »Gästegottesdiensten« — »evangelisiert« werden sollen. Dem einzelnen Christen wird jedoch grundsätzlich nicht zugetraut, den Ratschluß Gottes selbst Außenstehenden nahezubringen. Und tatsächlich: Er kann es regelmäßig wirklich nicht. Denn in den Versammlungen wird er nicht darin eingeübt, das Wort Gottes zu verkündigen. Da er dort nur als passiver Zuhörer zugelassen wird, ist er »draußen«, in der Welt, erst recht passiv.

Die »Zuhörergottesdienste«, die eine Versammlung in wenige Aktive und eine Mehrheit der Passiven unterteilen, bewirken also vor allem, daß sie diejenigen, die darin sitzen, »kastrieren«, also geistlich unfruchtbar machen, ihnen abgewöhnen, geistlichen Samen — das Wort Gottes — weiterzugeben. Die Hammel in Gottes Herde, die eigentlich Nachwuchs zeugen sollten, werden solcherweise zu Schöpsen*.

Eigentlich wäre der Schutzraum der Versammlung aber dafür da, daß Ungeübte sich im Dienst der Verkündigung üben können, innerhalb eines Rahmens, wo sie gleichzeitig Ermutigung und Korrektur erfahren. Wenn sie dies nämlich dort nicht tun können, ist es fast unmöglich, die ungleich höhere Hemmschwelle zu überwinden, dies in der feindlich gesinnten Welt zu tun. Als Ersatz hat der moderne Evangelikalismus das Hilfsconstruct des einladenden Schöpses hervorgebracht: Dieser selbst ist geistlich kastriert, soll aber einladen, um seine Freunde dem professionellen Prediger zuzuführen, der dann »befugt« ist, den Samen des Wortes Gottes zu legen.
Wer hingegen selbst daran gewöhnt ist, in jeder Versammlung seine Geschwister durch das Wort Gottes aufzuerbauen, ist gezwungen, im Wort zu leben und wird dann auch weniger Schwierigkeiten haben, Außenstehenden gegenüber dieses Wort Gottes selbst zu verkündigen.

Moderne Bestrebungen, die Form der Versammlungen zu reformieren, sind für gewöhnlich darauf ausgerichtet, den Unterhaltungswert zu erhöhen, um die Versammlung »attraktiver« zu machen. Die Wurzel des Problems, die Entmündigung der Zuhörerschaft, ja der Umstand, daß es überhaupt eine Mehrheit passiver Zuhörer gibt, wird dabei nicht angetastet. »Attraktivität« bedeutet in diesem Kontext immer: Attraktivität für die Besucher, aber es bedeutet nicht Attraktivität für Christos. Ob dieser sich durch die Vielfalt seiner Glieder ausdrücken kann, spielt in den Erwägungen zur Attraktivierung der Versammlungen keine ernstzunehmende Rolle. So kastriert das System der Professionalisierung nicht nur die Mehrheit der Schafe, es bestiehlt auch den Guten Hirten um den Ertrag seiner Herde.
Dieses Dilemma wird auch dadurch nicht abgeschwächt, daß modernere Versammlungen scheinbar eine größere Zahl an Teilnehmern einbinden, etwa durch Lesungen, Bands, Chöre oder gar Theateraufführungen. In der Regel dient auch diese Einbindung nur einer formalen Aufhübschung und fördert die fruchtbringende mündige Auseinandersetzung des einzelnen mit dem Wort Gottes nicht oder kaum.

Freilich: Gemäß Jakobos 3, 1 sind nur wenige zum Lehrdienst berufen. Dies bezieht sich aber auf den Dienst systematischer Unterweisung, auch auf einen Wächterdienst, der Lehrfragen betrifft. Mit der gegenseitigen Ermutigung und Ermahnung durch das Wort Gottes — die ja durchaus nicht in einem geschlossenen, systematischen Vortrag bestehen muß, sondern in wenige Worte gefaßt sein kann — sind nach Kol. 3, 16 oder 1. Thess. 5, 11 alle beauftragt.

Zu tun hat das Problem der Passivität auch mit der schieren Größe der meisten Versammlungen: Wo sich Hunderte versammeln, kann der oben erwähnte Schutzraum, in dem es möglich ist, vorsichtige erste Schritte der Verkündigung zu unternehmen, nicht entstehen. Das kann nur in einem kleinen, familiären, in einem jüngerschaftlichen Rahmen funktionieren. Außerdem: Eine Versammlung, in der jeder zu Wort kommt, würde nicht mehr in einem vernünftigen Zeitrahmen zu Ende kommen, sobald sie eine bestimmte Größe überschreitet. So begrenzt das Gebot, alle Brüder ihren Gaben gemäß einzubeziehen, auch gleichzeitig die Zahl der Zusammenkommenden und verweist auf die Hausversammlung als die gewöhnliche, natürliche Form der geistlichen Zusammenkunft (von der es freilich Ausnahmen gibt). Megakirchen produzieren aber schon aus rein mathematischen Zwängen heraus passive Zuhörer: Denn wenn tausend Teilnehmer nur je fünf Minuten Redezeit bekämen, würde die ganze Versammlung schon über achtzig Stunden dauern — also dreieinhalb Tage und Nächte. Und wer kommt schon mit fünf Minuten aus …

 

 

 

* kastrierter Hammel

 

 

 

 Siehe zum Thema auch die Geiernotiz »… bereits gefallen«.

 

 

 

 

 

 

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