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Fuß-Baal?


By Geier - Posted on 17 Juni 2010

16. Juni 2010

 

 

 

 

Ball oder Baal? Die Frage, ob man Fußball — zumindest, wenn er professionell betrieben wird — nicht eigentlich als Religion ansehen müßte, ist dieser Tage wieder besonders aktuell. Und grundsätzlich ist dies erst einmal ziemlich naheliegend. Man findet im Profifußball eine Menge Elemente, die man direkt mit Erscheinungen der etablierten Kirchen vergleichen kann. So gibt es liturgische Gewänder (Trikots), eine professionelle Priesterkaste (Spieler, Funktionäre), der ohne adäquate Gegenleistung ein weit überdurchschnittliches Einkommen zugestanden wird, Kultstätten (Stadien), einen angeschlossenen Devotionalienhandel. Bestimmte Gegenstände (signierte Bälle, Pokale z. B.) gewinnen Reliquiencharakter. Man spricht vom »Heiligen Rasen« und von »Heiligen des Fußballs«. Das Wort »Fan« kommt vom lateinischen »fanum« — Tempel, ein Fan(atiker) ist ein »von einer Gottheit ergriffener«. Es gibt Spezialwissen und eine Spezialterminologie wie in Mysterienkulten, die dazu dienen, die »Eingeweihten«, Dazugehörigen, von denen »draußen«, den anderen, abzugrenzen. Natürlich: Das sind nur Indizien, aber davon gibt es nicht eben wenige.

Allein der Fakt, daß Millionen Menschen zusehen und sich davon begeistern lassen, wie ein paar Männer einem Ball hinterherlaufen, statt einem seriösen Tagwerk nachzugehen, daß diese Zuschauer Freundschaften und Feindschaften hierauf gründen, ihr Denken davon beherrschen lassen, große Reisen unternehmen und einen erheblichen Teil ihres Einkommens dafür opfern, gelegentlich in Ekstase geraten, mitunter sogar aus keinem anderen Grund als dem Spielverlauf gewalttätig werden, schwere Straftaten bis hin zu Körperverletzung und Mord begehen, ist so absurd, so irrational, so unerklärbar, daß er nur mit massiver religiöser Verblendung zu erklären ist.

Conny Böttger schreibt in der F.A.Z. über »Die Legende vom heiligen Fußballer«:

»…Erstaunlich ist es trotzdem, daß die Stadt in der Topographie des Fußballs nicht längst als Wallfahrtsstätte ausgewiesen ist. In Dudley findet sich wirklich alles: Grabmäler, die König Fußball huldigen; auf dem Marktplatz im Zentrum der Stadt kein Kriegerdenkmal und kein Herrschermonument, sondern die Statue eines Fußballers; und in der Kirche ein Fenster, das einen Fußballer gleich einem Heiligenbildnis zeigt.
Dudley ist die heimliche europäische Hauptstadt des Fußballer-Totengedenkens.

In einer Seitenkapelle findet sich das Gesuchte: die Legende vom Himmelsstürmer, dargestellt auf einem bunten Fenster, durch das Licht von außen einfällt.
Zweimal erscheint Edwards, die Lichtgestalt, auf dem Fenster. Das eine Bild zeigt den Fußballer im Dress von Manchester United, das andere im Trikot der Nationalmannschaft. Auch die Inschriften bestärken die Heiligen-Aura: „God is with us for our Captain“, Gott ist mit uns für unseren Kapitän, ist da zu lesen, und: „Thanking God for the life of Duncan Edwards“, Gott sei Dank für das Leben von Duncan Edwards. Schließlich ein heimlicher Bibelvers (1. Korinther 12, 20) in der Übersetzung: „Nun aber sind der Glieder viele, aber der Leib ist einer“. Viele Fans werden dabei weniger an eine Gemeinschaft in Christus denken, als vielmehr ihre Zugehörigkeit zu Manchester United (oder „ManU“) beschrieben sehen.

Keine Frage, auch in Deutschland trägt der Fußball Züge einer Kultreligion, einer Religion ohne Theologie und Dogma. Dudley zeigt etwas mehr: In der St. Francis Church ist der innerfußballerische Heiligenkult unter die Fittiche einer Amtskirche genommen, die auch ihre fußballfiebernden Schafe nicht allein läßt. Der Bischof von Worcester persönlich hatte im August 1961 das Fenster geweiht. Reverend Johnston weiß auch heute von keinen Einwänden der Gemeindemitglieder — also etwa wegen Profanisierung oder Blasphemie — zu berichten.

Schließlich der Friedhof. … Das Duncan-Edwards-Grab fällt schon von weitem durch den ManU-Schal ins Auge, der vor dem Stein liegt. Mitglieder der „Manchester United family“, wie es heißt, kommen auch für den Unterhalt der Grabstätte auf, die alle Insignien eines bekennenden Fußballergrabs trägt. Fest installiert ist eine Blumenvase in Form eines Fußballs. Ein Strauß Nelken in den echten roten Clubfarben leuchtet in der Nachmittagssonne. Eingraviert in den schwarzen Marmor ist ein Fußballbild: Duncan Edwards beim Einwurf, den Ball über den Kopf ziehend.

 

Es hat die Beantwortung der Frage, ob man Fußball als Religion ansehen muß, durchaus praktische Konsequenzen. So wären die Bemühungen einiger Evangelikaler, Fußball als Missionsmöglichkeit zu integrieren, (»Fußballbibel«, »KickOff«, »ProChrist« usw.) völlig anders zu gewichten.

Wird nicht ohnehin, zum Beispiel, wenn Spiele in Gemeindehäuser übertragen werden mit der erklärten Absicht, damit »Leute anzuziehen, die sonst nie einen Fuß in eine Kirche setzen würden«, die evangelistische Absicht oft nur — bewußt oder unbewußt — vorgeschoben, um die eigene Fußballbegeisterung zu legitimieren?

Oft wird Paulos’ Rede in Athen als Rechtfertigung für solches Tun herangezogen. Aber sehen wir uns einmal an, was er dort eigentlich gesagt hat:

 »… Männer, Athener, (in) Bezug (auf) alles schaue ich, wie (sehr) ihr Dämonieverbundene [DiISI DAeMONÄ´STÄROS] (seid). Denn als Duchkommender und Hinaufschauender zu Euren Ehrwürdigkeiten fand ich einen Sockel, in welchem aufgeschrieben worden war: Dem unbekannten Gott. Was Ihr daher als Unwissende wohlehret, dies herabkünde ich Euch.« (Apg. 17, 22f)

Es ist ausgeschlossen, daß diese Stelle dazu taugen könne, damit zu rechtfertigen, daß man sich der Welt anpaßt, um dadurch jemanden zu gewinnen. Paulus paßt sich hier überhaupt nicht an. Er bezeichnet die Athener als Unwissende — und bringt damit zum Ausdruck, daß ihr Dämonenglaube vollständig falsch ist, eben weil er auf Unwissenheit beruht. Er hat den Sockel lediglich als Anlaß benutzt, aber er hätte sie nie in eine geistliche Versammlung hereingeholt, um auf diese Weise »Menschen zu gewinnen«. Nie hätte er an der athenischen Verehrung der Dämonen teilgenommen, um jemanden für Christos zu gewinnen.
Paulus ist zwar höflich gewesen, aber er hat den Athenern trotzdem deutlich gesagt, daß sie

1. Götzen- (Dämonen-)diener sind
2. Unwissende sind (also keine Ahnung von den tatsächlichen geistlichen Gegebenheiten haben) und
3. hat er ihnen auch gesagt, daß sie mit dem Götzendienst brechen müssen. Wäre das nicht seine Botschaft gewesen, hätte er sich den Ärger mit den Silberschmieden in Ephesos erspart; ganz sicher aber wird er auch in Athen nichts anderes gepredigt haben als in Ephesos.

Wenn also Fußball eine Religion ist, dann ist es auch nicht legitim, wenn evangelistische Aktionen wie »ProChrist« sich mit »christlichen« Fußballern schmücken, vielmehr müßte man diesen Fußballern dann sagen: »Ihr habt fremden Göttern gedient und viele verführt. Ihr könnt Vergebung erlangen, aber natürlich müßt Ihr Euer altes Leben aufgeben und fortan einer nützlichen Arbeit nachgehen.«

Eine solche Haltung finden wir z. B. bei dem Olympiasieger Andreas Wecker. Nachdem dieser Christ wurde, hat er seine Olympiamedaillen im Internet versteigert, um mit seiner Vergangenheit zu brechen, da die Olympischen Spiele einen, wie er sagte, »heidnisch-hellenistischen Hintergrund« haben.

Was aber hat der Fußball für einen historischen Hintergrund?

Zuerst soll der »Gelbe Kaiser« in China im 3. Jahrtausend vor Christus die Idee gehabt haben, seine Soldaten einen Ball über das Feld treten zu lassen, der aus dem ausgestopften Magen eines getöteten Feindes geformt wurde. Maya-Reliefs aus dem 5. Jahrhundert zeigen Bälle, in denen sich ein Schädel befindet, woraus gefolgert wird, die Bälle hätten bei einigen Spielen aus von Gummi umhüllten Köpfen bestanden. Im Rahmen des Ballspiels wurden Gefangene geopfert, deren Blut eine wesentliche Rolle in der Mythologie der Maya spielte.

Zwar gibt es einerseits keine historische Kontinuität zwischen dem damaligen und dem heutigen Fußball, trotzdem gibt es Indizien für eine geistliche Kontinuität. So celebrierte der ecuadorianische Schamane Tzamrenda Naychapi vom Volk der Shuria im April 2006 eine spirituelle Reinigung der Hamburger AOL-Arena für die damalige Fußball-WM. Auch nach Frankfurt wurde er eingeladen, worüber die ARD damals berichtete:

Die religiöse Durchdringung des Fußballs manifestiert sich ja schon bei jedem besseren Bundesligaspiel. Und daß vor einer WM ganz besondere Rituale zu Gebote stehen sollten, erschließt sich mehr oder weniger von selbst. Der ecuadorianische Schamane Tzamarenda Naychapi machte in der Frankfurter WM-Arena Station. Selbst auferlegte Aufgabe: Ein »Ritual der Wasserfälle und der Geräusche des Himmels« zu zelebrieren. … Im traditionellen Raubkatzenfell, geschmückt mit bunten Federn (schwarz, rot, gold!) und Holzketten hielt der 36jährige vom Stamm der Shuar Yawints seine Lanze mit beiden Händen über den Kopf und stieß laute Schreie aus. Begleitet wurde der Schamane von zwei Tänzern von der ecuadorianischen Pazifikküste und zwei Musikern aus dem Andenhochland. Der Auftritt verlief offenbar erfolgreich. Mit dem Hinweis »está normal« — alles im grünen Bereich — bestieg Naychapi seinen Kleinbus und fuhr weiter zur nächsten WM-Spielstätte. Die Veranstaltung in Frankfurt war Teil der Kampagne »Schamane on Tour«, bei der Naychapi seit dem 24. April alle zwölf deutschen WM-Städte bereist.

Idea berichtet anläßlich der derzeitigen WM von brasilianischen Voodoo-Ceremonien, die den Ausgang der Spiele beeinflussen sollen. So werden die Beine von Spielern mit Mixturen aus Kräutern, Tierblut und Partikeln eines Skorpions bestrichen, Eier und Kokosnüsse mit Namen gegnerischer Spieler beschrieben und mit magischen Formeln beschworen. Der Direktor einer südafrikanischen Fanvereinigung will Angehörige verschiedener Religionen zu Fasten und Gebet vereinigen, damit das Wunder geschehe, daß Südafrika nicht gleich zu Beginn aus der Meisterschaft ausscheidet. Auch Menschenopfer werden nach wie vor dargebracht: So wird zum Beispiel während der WM in Südafrika mit einer potenzierten Verbreitung des tödlichen Aids-Virus gerechnet.

 

 


Siehe zum Thema auch die Geiernotizen: »Olympische Menschenopfer in Peking«

und »… von Anbeginn«

 

Auch schön auf den Punkt gebracht:

 

Abb.: Thomas Rosenau; gemeinfrei

 

 

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