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Verdreht


By Geier - Posted on 18 Juli 2009

18. Juli 2009


Eph. 5, 4: witzig oder gewitzt?

Ist Gott humorlos? Ich bezweifle das. Gelegentlich wird aber Eph. 5, 4 in diesem Sinne interpretiert. Da lesen wir (ab Vers 3): »Hurerei aber und alle Unreinigkeit oder Habsucht werde nicht einmal unter euch genannt, gleichwie es Heiligen geziemt; auch Schändlichkeit und albernes Geschwätz oder Witzelei, welche sich nicht geziemen, sondern vielmehr Danksagung.«

Ist dem geistlichen Menschen also jeder Witz von Vornherein untersagt? Das Wort »eutrapeleia«, das hier von den meisten Übersetzungen im Sinne von »Witzelei« wiedergegeben wird, setzt sich im Grundtext aus den Elementen »wohl« bzw. »gut« und »drehen« zusammen. Nun ist ein Begriff wie »wohldrehen« im Deutschen nicht ohne weiteres verständlich und auch andere biblische Vorkommen des Wortes können zur Begriffserklärung nicht herangezogen werden, da das Wort gerade nur an dieser einen Stelle vorkommt.

Ein Blick ins Wörterbuch belehrt uns aber darüber, daß der Begriff eher mit »gewitzt« als mit »witzig« verwandt ist, da er (auch) Gewandtheit, Schlagfertigkeit, List und Täuschung beschreibt. Und das paßt ganz hervorragend zur wörtlichen Übersetzung als »wohldrehen«: Beschrieben wird hier das Bestreben, eine Sache so zu drehen, daß sie im Auge des Betrachters gut aussieht, jedenfalls deutlich besser, als sie tatsächlich ist, notfalls mit mehr oder weniger direkter Täuschung.
Paulos benutzt für diesen Sachverhalt neben dem Begriff »wohldrehen« an anderer Stelle auch noch den Terminus »zurechtdrücken [katächo] der Wahrheit«: »Denn enthüllt wird Zorn Gottes vom Himmel auf alljede Verunehrung und Ungerechtigkeit der Menschen, derer, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit zurechtdrücken.« (Röm. 1, 18)

Ich will an einigen Beispielen erklären, was ich unter »wohldrehen« verstehe:

Ein Möbelhaus verschickt für eine Verkaufsveranstaltung in einer groß angelegten Werbeaussendung »VIP-Einladungen für ausgewählte Stammkunden«. Was wurde da ausgewählt? Hat da etwa die Mitarbeiterschaft über den Adressen gebrütet und ausgewählt — »den laden wir ein, den aber nicht, ist ja nur für unsere ganz besonderen Lieblingskunden«? Natürlich nicht: Jeder, aber auch wirklich jeder, der jemals so unvorsichtig war, dort wegen einer Kundenkarte, bei einem Gewinnspiel oder auf einer Liefervereinbarung seine Adresse zu hinterlassen, bekommt diese Einladung. Schließlich will man verkaufen — an wen, ist da völlig gleichgültig, also kann es gar nicht genug Adressen geben, an die solche Einladungen verschickt werden. Daß der Kunde als »ausgewählter Stammkunde« angesprochen wird, ist nichts als billige Verkaufspsychologie, die Sache wird ein bißchen gedreht, damit sie besser aussieht.
Das gleiche gilt für den Marktschreier und andere Verkäufer, die uns zu Geschäften nötigen wollen, indem sie den Eindruck erwecken, daß wir eine unwiederbringliche Chance vertun würden, wenn wir nicht jetzt und sofort bei ihnen kauften, zum Beispiel, indem sie »nur heute« einen angeblichen Sonderpreis anbieten, um am nächsten Tage und bei anderen Kunden wieder »nur heute« zum selben Preis zu verkaufen und am übernächsten natürlich ebenso. Betrug im strafrechtlichen Sinne ist das zwar nicht, aber doch der Versuch, den Unerfahrenen zu einem Kauf zu bewegen, den er sonst wohl nicht tätigen würde.

Es gibt bestimmte Verkaufsverpackungen, die besonders voluminös gestaltet sind, um dem Käufer mehr Inhalt vorzugaukeln, als tatsächlich in der Packung ist. Natürlich: Auf der Packung steht die korrekte Gewichtsangabe, aufs Gramm genau. Keiner kann sich leisten, da zu lügen. Aber getäuscht wird doch: Denn viele Verbraucher, wenn sie vor dem Regal stehen und Preis und Leistung vergleichen, schließen unbewußt doch von dem größeren Volumen der Packung auf mehr Inhalt, weil sie die konkurrierenden Produkte nach dem Augenschein vergleichen und nicht nach den irgendwo aufgedruckten Gewichtsangaben. Und während es trotz langer Bemühungen noch immer nicht gelungen ist, Stroh zu Gold zu spinnen, wird auf diese Art wenigstens schön verpackte Luft in Geld umgerubelt.

Auch wenn sich eine Krankenkasse als »Gesundheitskasse« vermarktet, hört sich das gleich viel netter an, und wenn diese Gesundheitskasse dann noch eine »Gesundheitskarte« verteilt, werden viele gar nicht mehr darüber nachdenken, daß auf dieser Karte sensible Patientendaten gespeichert werden, welche die Kasse und andere Interessierte dem Ziel des »Gläsernen Patienten« ein Stück näherbringen.

Aber nicht nur in der Wirtschaft wird fleißig »zurechtgedrückt« und »wohlgedreht«, auch in Politik und Wissenschaft drückt und dreht sich da einiges:

So hieß das verfassungswidrige Gesetz, das Bundesrat und Bundestag im wesentlichen ihrer Bedeutung berauben sollte, indem es wichtige Rechte und Pflichten dieser deutschen Verfassungsorgane an die Europäische Union delegiert hätte, ausgerechnet »Gesetz über die Ausweitung und Stärkung des Bundestages und Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union«. Mal abgesehen davon, daß hier Logik und Sprache Gewalt angetan wird, da es schließlich ohnehin nicht möglich ist, Bundestag und Bundesrat »auszuweiten«, ist diese Bezeichnung auch unglaublich dreist, denn wie hat das Bundesverfassungsgericht hierzu festgestellt: »Das Gesetz begrenzt und schwächt Bundestag und Bundesrat in Angelegenheiten der Europäischen Union in verfassungswidriger Weise.« Das, was hier höchstrichterlich als Schwächung festgestellt wurde, einfach als »Stärkung« hinzustellen, kann man vielleicht gar nicht mehr als »wohldrehen« durchgehen lassen, bei solcher 180°-Verdrehung paßt der klassische Begriff der faustdicken Lüge schon fast besser.

Bereits im Januar hatte ich die sogenannte »Abwrackprämie« kommentiert, tatsächlich aber hat die deutsche Politik diese Prämie unter dem Euphemismus »Umweltprämie« lanciert, obwohl man sich kaum umweltfeindlicher verhalten kann, als ein funktionierendes Wirtschaftsgut zu vernichten und durch ein neu herzustellendes zu ersetzen. Aber Umwelt geht im Moment ja ganz hervorragend und für beinahe alles, weshalb die Rentenbeitragsbegrenzungssteuer, die auf Benzin und Diesel erhoben wird, auch lieber »Ökosteuer« heißt.

Klassisches Wohldrehen ist auch die »Aufbereitung« von Statistiken, etwa indem nur solche Daten ausgesucht und verwertet werden, die am Ende das gewünschte Ergebnis garantieren, auch wenn die Berücksichtigung aller relevanten Daten etwas völlig anderes ergeben hätte. So wird zum Beispiel, um die These von der Erderwärmung zu untermauern, das Abschmelzen von Gletschern betrachtet. Wenn man hierfür nun die Werte der Jahre 1850 und 2000 vergleicht, ergibt sich ein höchst beeindruckender Gletscherrückgang. Was die meisten Betrachter der entsprechenden Graphiken aber nicht wissen, ist, daß 1850 das Ende der sog. »Kleinen Eiszeit« markiert, der kältesten Periode der letzten zwei Jahrtausende. Natürlich mußten die Gletscher, die über große Zeiträume hinweg regelmäßig wachsen und schrumpfen, am Ende dieser Kaltzeit ihre Maximalausdehnung erreicht haben. Das Jahr 2000 hingegen war der einstweilige Höhepunkt der relativen Warmzeit, die auf die Kälteperiode der »Kleinen Eiszeit« folgte. Wenn man also als Eckpunkte für den Vergleich den Minimal- und den Maximalwert wählt, ergibt sich natürlich ein beeindruckendes, wenn nicht gar beängstigendes Bild, auch wenn das Gesamtbild aller verfügbaren Daten einfach nur die natürlichen Schwankungen widerspiegeln würde. Das Europäische Institut für Klima und Energie in Jena schreibt dazu: »Dies ist ungefähr so, als würde der Pegel der Hamburger Springflut vom Februar 1962 als Referenzwert herangezogen und die seitherigen Pegelstände mit diesem verglichen, um daraus die Schlußfolgerung abzuleiten, daß seither der Pegel dramatisch gefallen sei!«

Auch wenn die Polizei vor Gewalttätern kapituliert, sich weigert, Gesundheit, Leben und Eigentum der Bürger zu schützen und Randalierern die Gewalt auf der Straße überläßt, muß »wohlgedreht« werden, weil es sich ganz schlecht machen würde, wenn unverblümt in der Zeitung stünde, daß Straftaten nicht mehr verfolgt werden, sobald der Mob nur groß genug ist, der sie begeht. Für dieses Aufgeben des staatlichen Gewaltmonopols hat man den schönen Begriff »Deeskalation« erfunden, und weil schließlich niemand der Böse sein will, der sich eine Eskalation wünscht, kann man nur ganz schwer etwas dagegen sagen. In Hamburg ist man schon etwas weiter. Man hat langsam mitbekommen, daß »Deeskalation« die regelmäßigen Bürgerkriegsübungen im Schanzenviertel nicht im geringsten einschränkt, ja, daß die sogenannte »Deeskalation« über die Jahre hinweg zu einer Eskalation führt, weil der Verzicht auf konsequente Bestrafung der Täter diese zu immer weitergehenden Grenzüberschreitungen geradezu einlädt. Da die heurigen Krawalle zum Schanzenfest so brutal wie noch nie waren, das vollständige Versagen der Deeskalationsstrategie also nicht mehr zu vertuschen war, hat man nicht etwa die Strategie geändert und endlich einmal durchgegriffen — nein, man hat einfach, statt des schon etwas betagten, abgegriffenen Begriffes einen neuen, noch schöneren erfunden: Die »qualifizierte Duldung«. Da muß man auch erst einmal drauf kommen.

 

Nachtrag 25. 7.:
Ein besonders brillanter Euphemismus ist mir gerade noch untergekommen: Auf dem Totenschein eines Studenten, der nach Eintritt von 11 Polizeigeschossen in seinen Körper verblutete, steht als Todesursache »Volumenmangelschock«. Quelle


Nachtrag 29. 7.:
Auch sehr originell: Auf Druck Frankreichs hat das EU-Statistikamt Eurostat
einen Trick gefunden, Staatsschulden zu verschleiern. Ein Teil der Schulden wird dazu in Zweckgesellschaften ausgegliedert und somit nicht mehr ausgewiesen. So sieht die Statistik gleich viel freundlicher — na ja, wenigstens nicht mehr gar so erschreckend — aus; der Steuerzahler haftet gleichwohl trotzdem für die versteckten Staatsschulden. Schon bisher waren Angaben über Staatsschulden mit Vorsicht zu genießen, weil regelmäßig die Pensionsverpflichtungen nicht eingerechnet wurden, die sich durchaus zu Billionenbeträgen aufaddieren.

 

Nachtrag 28. 9.:

Natürlich darf in der Liste bösartiger Euphemismen die sog. »Schwangerschaftsunterbrechung« nicht fehlen, ein propagandistischer Kampfbegriff aus der DDR, der leider mit dieser nicht untergegangen ist und die Endgültigkeit des Geschehens verschleiert — was man unterbricht, kann man schließlich bei Gelegenheit fortsetzen.


Nachtrag 21. 10.:

»Wohlgedrehte« Lebensmittelverpackungen gibt es hier zu sehen und »wohlgedrehte« Lebensmittelbezeichnungen hier.

 

 

Weitere unsortierte Euphemismen:

Eine Hausbesetzung in Berlin — also ein klarer Verstoß gegen das Gebot in 2. M. 20, 17 — geistert durch die Presse als »Wohnprojekt« bzw. »Hausprojekt« Einen Bankraub könnte man dieser Logik zufolge gut und gern als »Finanzprojekt« bezeichnen.

#

 »Angepaßte Berechnungsmethoden« für Bilanzfälschung: Der Fall Griechenland.

 Hans Heckel schreibt:

»Ein ganz klares Nein. Es gibt keine Haushaltsmittel für die Griechen!«, donnerte Merkel Anfang der Woche, als in ganz Deutschland eigentlich nur noch über das Wann und Wie der Griechenhilfe diskutiert wurde.
Lügt uns die Kanzlerin etwa was vor? Aber nicht doch, man achte auf Merkels Wortwahl: Sie hat nicht gesagt »keine deutsche Hilfe« oder »kein Geld von den EU-Partnern«, sie sagte »keine Haushaltsmittel«. Spätestens seit der Erfindung des Wortes »Sondervermögen« weiß jeder, daß es unendlich viele Wege gibt, um Steuergeld am Haushalt vorbei zu mogeln.

 

 … und noch mehr Werbelügen

 

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