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Pop-Theologie


By Geier - Posted on 17 Februar 2011

17. Februar 2011

 

Gerade habe ich auf dem Blog von Ron Kubsch einen Artikel entdeckt, in dem er den Liedtext eines Frl. Germanotta kommentiert (die unter einem Künstlernamen agiert, der so infantil ist, daß ich ihn hier gar nicht wiedergeben mag). Die Dame ließ sich letztens in einem Ei auf die Bühne tragen, aus dem sie hernach schlüpfte, wiewohl es fraglich ist, daß ihre Zielgruppe die mythologische Anspielung auf Aphrodite und Semiramis überhaupt wahrgenommen hat. Sei’s drum. Jedenfalls sang sie dann ihr Stück »Born this Way« (»So geboren«), dessen Tenor man auf die Zeile eindampfen könnte: »Gott ist an allem schuld!«: Was ein Mensch tut und darstellt, könne ja schon deshalb nicht falsch sei, weil Gott ihn schließlich so geschaffen habe.

Wie weit Germanotta hier den Rahmen steckt, verraten die Zeilen: »No matter gay, straight or bi, lesbian, transgendered life … I’m beautiful in my way, ’Cause God makes no mistakes I’m on the right track, baby, I was Born This Way« (frei übersetzt: egal ob schwul, hetero- oder bisexuell, lesbisch oder zwischen den Geschlechtern … auf meine Art bin ich schön, weil Gott keine Fehler macht, bin ich auf dem rechten Weg, Baby, ich bin halt so geboren). Hat sie da nicht etwas vergessen? Die Pädophilen, die Terroristen, die Schutzgelderpresser und Zuhälter, die afrikanischen Warlords, die ihre Gegner nicht nur zerstückeln, sondern auch auffressen? Sind die auch alle auf dem rechten Weg, weil sie halt so geboren sind? Wo ist die Grenze? Gibt es noch eine? Der theologische Kurzschluß, der hinter solcher Lyrik steckt, ist jedenfalls schlicht: Wenn Gott Schöpfer ist und er keine Fehler macht, muß alles Vorhandene ja gut und richtig sein, sonst wäre es gar nicht da. Freilich hat, wer so denkt, offensichtlich die letzten knapp sechstausend Jahre verschlafen und nichts vom Fall des Geschaffenen mitbekommen, was angesichts des derzeitig erbärmlichen Zustandes dieser Welt schon von erheblicher Dickfelligkeit zeugt.

Allerdings ist das auch wieder eine unglaublich komfortable Position: Wenn alles gut ist — allein dadurch, daß es vorhanden ist — dann gibt es keine Grenzen mehr, keine Verfehlung, keinen Rechtfertigungsdruck und vor allem auch: kein Gericht. Und genau darum geht es Germanotta, wie Peter-Philipp Schmitt in der F.A.Z. anmerkt, der auch von Ron Kubsch citiert wird: Die Erschaffung einer neuen Rasse, »die weder die Fähigkeit zu richten noch zu hassen in ihrer DNA habe«. Wo keine Grenzsetzungen existieren, nicht gerichtet, also nicht unterschieden wird zwischen Recht und Unrecht und alles gleich gültig (und deshalb auch gleichgültig) ist, gibt es aber auch keinen Schutz. Und es ist zu befürchten, daß Hobbytheologen wie Frl. Germanotta die Nachteile einer schranken- und rechtlosen Gesellschaft erst dann erkennen, wenn sie einmal auf der Opferseite stehen. Für den Täter, der seine persönliche Schuld verwischen will, ist die Relativierung rechtlicher Grenzen ja höchst bequem, für das Opfer ist sie tödlich.

Es wäre nicht wert, zu kommentieren, was da irgendwo auf irgendwelchen Bühnen gesungen wird — die Welt ist nun einmal so — wenn die gleiche theologische Hilfskonstruktion nicht schon Einzug gehalten hätte in Kreise, die sich selbst als »bibeltreu« bezeichnen und wohl auch dafür halten. Ich hatte im September in der zweiten Hälfte dieses Artikels beschrieben, wie zum Beispiel das biblische Lehrverbot für Frauen mit dem Argument ausgehebelt wird, daß man vorhandene Befähigungen nicht brachliegen lassen dürfe — was nun einmal verfügbar ist, wird um seines bloßen Vorhandenseins willen für gut und richtig erklärt, unabhängig davon, was die Schrift darüber sagt. Dies ist ein extrem gefährlicher theologischer Ansatz, weil es fast nichts gibt, was man damit nicht nach Wunsch hinbiegen und rechtfertigen könnte. Und er ist verbreiteter, als man denken sollte: Letztlich wird — mehr oder weniger bewußt — das ganze denominationell[G] verfaßte Christentum auf diese Weise Gott in die Schuhe geschoben. Es wird als gut und richtig erklärt aus keinem anderen Grund als dem, daß es vorhanden ist — obwohl jeder sehen kann, daß moderne Kirchlichkeit nicht im geringsten übereinstimmt mit dem lebendigen Christentum der Apostelgeschichte. Jeder aber, der feststellt, daß hinter der religiösen Façade die Substanz fehlt, wird behandelt, als wäre er der Rebell gegen Gott. Die Mehrheit stellt sich mit der Kaltschnäuzigkeit der Germanotta hin und sagt: Gott hat uns so geschaffen, also sind wir auch auf dem richtigen Weg. Es ist diese Geisteshaltung nicht neu: In Psalm 50 lesen wir über diejenigen, die munter freveln, die Zucht Jahwehs verwerfen, und dann, wenn nicht gleich Feuer vom Himmel fällt, davon ausgehen, daß Gott sich ihnen schon angepaßt hätte. Jahweh spricht zu ihnen: »Solches hast du getan, und ich schwieg; da hast du gedacht, ich sei ganz wie du.«

Mitunter gibt es in der Populärmusik aber auch mal Texte, von denen sich einige Theologen eine Scheibe abschneiden können. Letztens bin ich über einen Text gestolpert, der von einem Frl. Meyer-Landrut gesungen wird, und neben einigem Unsinn fand ich ein paar höchst bemerkenswerte Zeilen mit einer gesund patriarchalischen, überhaupt nicht gender-mainstreaming-gerechten[G] Aussage, und es hat mich doch erstaunt, daß bisher kein Aufschrei des Entsetzens aus Fräulein Alice Schwarzers Richtung zu vernehmen war:

Where you go, I’ll follow
You set the pace, we’ll take it fast and slow
I’ll follow in your way, …

… ’Cause I, oh, I can’t go a minute without your love
Like a satellite, I’m in orbit all the way around you
And I would fall out into the night
Can’t go a minute without your love …

Welche (auch christliche) Frau bekennt sich heute noch vorbehaltlos dazu, ihrem Mann in seinen Wegen nachzufolgen, ihn das Tempo bestimmen zu lassen und zum Zentrum ihres persönlichen »Universums« zu machen? Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß es Zweck der Gemeinschaft von Mann und Frau ist, Christus und die Gemeinde darzustellen — wobei es ja um ein Nachfolgeverhältnis geht — ferner, daß das Weib geschaffen wurde, um den Mann zu umgeben, dann steckt in diesen Zeilen eine tiefe geistliche Aussage, die ich in den meisten Predigten zu diesem Thema schwer vermisse. Freilich: So betont oberflächlich, wie der Rest des Textes daherkommt (da geht es um blaue Unterwäsche und ähnliche Belanglosigkeiten) ist das wohl nur ein Zufallstreffer und das Mädchen weiß gar nicht, was es da singt, aber bemerkenswert fand ich es doch, zumal es dem Zeitgeist, der auf beliebige Austauschbarkeit der Geschlechter abzielt, so erfrischend entgegensteht. Und es ist ja nicht nur so, daß die Frauen rar geworden sind, die sich dazu bekennen, ihrem Mann in seinen Wegen nachzufolgen, auch Christen tendieren heute eher dazu, Gott um Segen für ihre Wege zu bitten als in seinen Wegen zu wandeln.

 

Nachtrag 21. 2.: Im Jahr 1963 war das Bekenntnis »Ich werde ihm nachfolgen, wo immer er auch hingeht« durchaus noch bühnentauglich, ja sogar regelrecht populär:

 

 

 

 

 

 Photo: © Geier

 

 

 

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