Sie befinden sich hierBerufsberatung, hanseatisch

Berufsberatung, hanseatisch


By Geier - Posted on 20 April 2010

20. April 2010

 

Einigen Kummer ist die Evangelische Kirche in Deutschland mit ihren »Bischöfinnen« ja schon gewöhnt. Und das ist in Hamburg nicht grundsätzlich anders als in Mitteldeutschland oder Hannover. Im deutschen Norden hat Maria Jepsen gerade in einem Interview mit der taz — wie man auf gut deutsch so schön sagt — das mit dem Gesäß eingerissen, was ihre Mitarbeiter im Diakonischen Werk Hamburg zuvor mit den Händen aufgebaut hatten. Diese haben noch vor einigen Jahren in einer Pressemitteilung darauf bestanden, daß Prostitution nie ein normaler Beruf sein dürfe:

»Es ist falsch, … von der Anerkennung der Prostitution als Beruf zu sprechen,« sagt Ingeborg Müller, Fachbereichsleiterin für Frauenprojekte im Diakonischen Werk Hamburg. »Prostitution kann nie ein normaler Beruf sein.« Denn dazu gehöre die Meldung freier Stellen beim Arbeitsamt, die Vermittlung von Arbeitslosen in freie Stellen und die Androhung der Kürzung von Arbeitslosenhilfe, wenn ein Stellenangebot nicht angenommen werde. Sexualität dürfe nach christlicher Überzeugung nicht den Charakter einer Ware oder Dienstleistung bekommen.

Ja, so war das früher. Dementgegen sagte aber Frau Jepsen jetzt gegenüber der taz:

Ich spreche nicht gegen Prostitution. Ich setze mich dafür ein, dass Prostitution als ein legaler und anerkannter Beruf da ist. Und dann sollen die Leute auch dazu stehen.

Citierter Frau Müller war auf Anfrage hin das Interview ihrer Chefin nicht bekannt, sie hatte aber auch noch nichts davon gehört, daß ihre Kirche in dieser Frage einen radikalen Positionswechsel vollzogen habe. Und auf ein paar klärende Worte der Pressestelle der Hamburger Kirche warte ich nun schon so lange, daß ich nicht mehr so unbedingt mit einer Rückmeldung aus Hamburg rechne.

Also kann ich mich nur auf den unerläuterten Text beziehen, und da sieht es für mich als staunenden Leser doch so aus, als hätten die Positionen »keine Anerkennung der Prostitution als Beruf« und »Prostitution als anerkannter Beruf« eine diametral engegengesetzte Ausrichtung. Zumal ja in Deutschland nach den Gesetzesänderungen des Jahres 2001 Prostitution tatsächlich bereits nahezu uneingeschränkt rechtlich anerkannt ist — Prostituierte können sich krankenversichern und auch ihren Entgeltanspruch wirksam einklagen (was früher wegen der Sittenwidrigkeit der »Geschäftsbeziehung« nicht möglich war) — stellt sich die Frage, welches Maß an darüber hinausgehender Anerkennung Frau Jepsen denn nun noch durchsetzen möchte.

Zwar gibt es auf lokaler Ebene Beschränkungen, der Prostitution an bestimmten Orten oder zu bestimmten Tageszeiten nachzugehen — aber die gibt es mit der größten Selbstverständlichkeit für andere Berufe aus den verschiedensten Gründen schließlich auch. Insofern herrscht hier schon »Normalität«, was die Rechtswirklichkeit angeht. Was also noch? Es gibt eine Reihe von Regelungen, die Minderjährige vor Ausübung von bzw. Belästigung durch Prostitution schützen sollen. Ist es das, was Frau Jepsen bemängelt, wenn sie die weitergehende Anerkennung des Berufes fordert? Freilich gibt es auch für viele andere Berufe ein Mindestalter, das sich zumeist schon de facto aus der geforderten Qualifikation ergibt. Sechzehnjährige Bischöfinnen gibt es schließlich auch nicht, ohne daß mir bisher hierüber Klagen zu Ohren gekommen wären, so daß es schwerfällt, in den Jugendschutzrichtlinien eine unangemessene Benachteiligung der Prostitution zu sehen. Oder ist der Stein des Anstoßes, daß es immer noch keine anerkannte Berufsausbildung zur Prostitution mit ordentlicher IHK-Prüfung in Theorie und Praxis gibt? Fehlt es am Kündigungsschutz für ältere Beschäftigte, an Schlechtwettergeld und Vorruhestandsregelungen? Vielleicht ist es aber auch die massive Diskriminierung der Männer beim Berufszugang, die Frau Jepsen stört. In Wien zum Beispiel, wo Prostituierte registriert werden, gab es 2007 noch 64 mal so viele weibliche wie männliche Prostituierte! Für Deutschland gibt es gleich gar keine Zahlen, aber die Tendenz wird wohl ähnlich sein. Höchste Zeit, Gleichstellungsbeauftragte zu wählen und eine Männerquote durchzusetzen.

Vor dem Hintergrund, daß Frau Jepsen in dem taz-Interview auch erklärt hat, daß es schließlich die Bischöfinnen in der EKD waren, die gegen den Widerstand ihrer männlichen Collegen gegen die Tabuisierung von Homosexualität gekämpft haben, wäre eine Männerquote für Prostituierte vielleicht wirklich der nächste folgerichtige Schritt, um strategisch sowohl die Normalisierung und Anerkennung des Berufsbildes Prostitution als auch die Homosexualisierung der Gesellschaft weiter voranzutreiben. In diesem Zusammenhang könnte man ja dann auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) dahingehend präcisieren, daß es eine regreß- und strafwürdige Diskriminierung darstellt, wenn ein Kunde eines Bordells unbedingt von einem »Dienstleister« eines bestimmten Geschlechts bedient werden will. Das wäre ein wichtiger Schritt zur weiteren Normalisierung des Berufsbildes Prostitution: Bei McDonalds oder Aldi kann man sich ja schließlich auch nicht heraussuchen, ob man von einem Mann oder einer Frau bedient wird.

Interessante Perspektiven tun sich da bei der hanseatischen Berufsberatung für den jungen Hamburger auf: »Lehrstellen im Schiffsbau gibt es im Moment nicht, aber im Prostitutionsbereich haben wir die Männerquote noch nicht voll, da gibt es im Moment Fördermittel — wäre das nicht was für Sie?« oder: »Für das Medizinstudium kommen Sie nicht ganz an den numerus clausus heran, aber wir hätten da noch freie Studienplätze für künftige Diplom-Zuhälter«.

Und während ehemalige nordelbische Kirchen, denen die Mitglieder davongelaufen sind, schon jetzt als Theater (Bugenhagen Hamburg), Kulturhaus (St. Johannis Hamburg Altona), Kindergarten (Betlehemkirche Hamburg-Eimsbüttel), Grundschule (Pauluskirche Hamburg-Hamm), Alten- und Pflegeheim (Kapernaumkirche Hamburg-Horn) oder Werkstatt (St. Lazarus Lübeck) nachgenutzt werden, tun sich hier künftig im Zuge der Normalisierung und Anerkennung der Prostitution sicherlich noch weitere Nutzungsmöglichkeiten auf.

 


Photo: © Geier

Free Tagging (Freies Zuweisen von Kategorien)

Rückblick 1. Lesertreffen

Beliebte Inhalte



CAPTCHA
Diese Frage hat den Zweck, zu testen, ob man ein menschlicher Benutzer ist und um automatisiertem Spam vorzubeugen.
Bild-CAPTCHA
Bitte die im Bild dargestellten Buchstaben (ohne Leerzeichen) eingeben.

Geierpost buchen

Inhalt abgleichen