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An den Flüssen Babylons


By Geier - Posted on 01 August 2010

1. August 2010  

  

An den Strömen Babels, dort hatten wir Sitz, auch noch weinten wir in unserem Gedenken an Zion. (Ps. 137, 1) 

 

Ich hatte ja verschiedentlich — so zum Beispiel hier, hier oder hier — schon begründet, warum die kirchlichen Systeme mit ihrem Klerikalismus und ihrer heidnisch-christlichen Religionsvermischung nie eine geistliche Daseinsberechtigung hatten und — da Gott sein Wort nicht ändert — auch nie haben werden. Sie leiten sich nicht aus der Schrift her, sondern allein aus der Kirchengeschichte. Von daher sollte jeder ernsthafte Christ prüfen, inwiefern er es verantworten kann, in einer solchen Struktur seine »geistliche Heimat« zu sehen. Das häufigste Argument, das Christen davon abhält, die Denominationen zu verlassen, ist der Verweis auf eine mangelnde »geistliche Infrastruktur« außerhalb der bestehenden Kirchen. Zwar erkennen viele, daß die denominationell verfaßten Gemeinden kein biblisches Vorbild haben; sie zu verlassen, würde jedoch bedeuten, auf regelmäßige Versorgung mit — vermeintlicher oder tatsächlicher — geistlicher Gemeinschaft zu verzichten. Wenn es irgendwo eine bessere, biblisch fundierte Struktur gäbe, würde man sich dieser ja gern anschließen, doch ist eine solche in Wohnortnähe meist nicht zu finden.

Ich möchte wegen dieses Einwandes eine Geschichte erzählen*:

Ende der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre, kurz nach der Gründung des Staates Israel, gelang es dem israelischen Geheimdienst unter großen Mühen, etliche Juden, die nach Israel auswandern wollten, illegal aus dem Irak, dem alten Babylon, herauszuschleusen. Freiwillig wollte der Irak sie zunächst nicht ziehen lassen. Aber selbst dann, als die Ausreise schließlich von der irakischen Regierung legalisiert wurde, wollte nur ein Teil der irakischen Juden in das Land der Verheißung zurückkehren. Denn im Irak hatten sie sich eingerichtet, hatten Häuser, Geschäfte, ein Auskommen. Zwar wurden sie als Juden in einem arabischen Land als Bürger zweiter Klasse behandelt und mitunter wurden sie auch Opfer antisemitischer Gewalttätigkeiten und politischer Verfolgung. Aber für viele war das Leben durchaus erträglich. In Israel hingegen gab es zunächst nahezu gar nichts. Die ersten Auswanderer kamen vorerst in Sammellager, weder Wohnungen noch Arbeitsplätze standen zur Verfügung, selbst die Nahrung wurde knapp. Die israelische Regierung hatte große Probleme, die vielen Einwanderer der Nachkriegsjahre, die aus vielen Staaten ins Land strömten, zügig zu integrieren. Die Infrastruktur, der Wohlstand, der heute für Israel bezeichnend ist, wurde von den ersten Einwanderergenerationen ja erst aufgebaut. Zwar gab es in Israel keine antisemitischen Pogrome, dafür aber die ständige Bedrohung durch die umliegenden feindlich gesinnten Staaten. Keiner konnte sagen, wie lange sich der neue Staat gegen diese Übermacht überhaupt behaupten könnte. Es wanderten also hauptsächlich diejenigen aus, die nichts zu verlieren hatten, also die Ärmsten, oder diejenigen, die persönlich unter antisemitischer Verfolgung gelitten hatten, und vielleicht auch einige, die überzeugt waren, daß Israel einfach der Platz ist, an dem Gott sie haben wollte. Viele blieben. Sie hatten viel zu verlieren, da sie ihre Häuser nicht mitnehmen konnten und wenig zu gewinnen. Das Risiko, im Irak persönlich zu Schaden zu kommen, schien überschaubar; zumindest war man daran seit Generationen gewöhnt.
In Israel dauerte es derweil in die sechziger Jahre hinein, bis sich die Einwanderer integriert hatten und ein Auskommen hatten. Etwa zur selben Zeit aber, nach der Machtergreifung durch die Bath-Partei, verschlechterte sich die Lage der irakischen Juden wieder drastisch. Sie durften keine Universitäten mehr besuchen, jüdisches Eigentum wurde beschlagnahmt, sie mußten gelbe Ausweise tragen, die sie von den arabischen Irakern unterschieden. Ende der sechziger Jahre wurden wieder Juden entführt und ermordet oder unter falschen Anschuldigungen hingerichtet.
Jetzt aber war es viel schwieriger, das Land zu verlassen. Der legale Weg, der zeitweise in den fünfziger Jahren offengestanden hatte, war wieder verschlossen, und auch die damalige geheime zionistische Infrastruktur im Irak, die darauf ausgerichtet war, Juden die Flucht zu ermöglichen, existierte nicht mehr. Denn die verbliebenen Juden wollten ja im Irak bleiben, sie hatten alle Verbindungen zum Zionismus gekappt. 1970 verließen dann aber doch die letzten Juden den Irak. Die Bedingungen waren dabei viel schwieriger als noch zwanzig Jahre zuvor. Allerdings kamen diejenigen, die nach Israel gingen, dann schon in recht geordnete Verhältnisse.

Ich habe diese Geschichte nicht erzählt, um unziemlichen Druck auszuüben. Jeder muß selbst herausfinden, wann es für ihn an der Zeit ist, das denominationelle »System Babylon« hinter sich zurückzulassen. Ich erzähle diese Geschichte, um zu zeigen, daß es völlig normal ist, daß die ersten, die ein Land besiedeln, mit Mangel klarkommen müssen. Diejenigen, die aus dem Exil in das Land der Väter zurückkehren, müssen dort erst mühsam den Boden bereiten, bevor das Land wieder Brot gibt und Milch und Honig fließen.
Wir müssen verstehen, daß auch die Denominationen ein »Land der Zerstreuung« sind, ein Exil, ein Gerichtsort, jedenfalls nicht das Land der Verheißung, nicht der Grund und Boden, auf dem Jahweh seine Kinder sehen möchte. Wie aber soll der über Jahrhunderte vernachlässigte Boden in diesem verheißenen Land urbar gemacht werden, wenn die weitaus meisten erst dann bereit sind, dorthin zurückzukehren, wenn andere vor ihnen den Boden bereitet haben? Wer heute außerhalb der Denominationen Christ sein will, weil er sieht, daß dies Gottes Ratschluß entspricht, muß sich auf Einschränkungen, Mühen und Unsicherheiten gefaßt machen. Er wird gangbare Wege anlegen und Brunnen graben und viele, viele Steine vom Acker lesen müssen. Er wird in provisorischen Behausungen leben müssen und bei Menschen kaum Anerkennung finden. Wie zur Zeit Nehemijas wird er alles, was er aufbaut, gegen Marodeure verteidigen müssen, die es wieder einreißen wollen. Aber er hat das Vorrecht, die Infrastruktur aufzubauen, die dann jene aufnehmen kann, die später nachkommen. Im Moment scheint es freilich, daß zwar immer mehr Christen Zugang zu gesunder Lehre haben, die ihnen ermöglicht, Gottes Gedanken für die Herausgerufene[G] zu verstehen, aber die meisten doch abwarten, ob nicht jemand anderes zuerst losgeht und das brachliegende Land für sie urbar macht.

Gang, Veitli, gang, gang du voran,
i will dahinte vor dir stahn.

(Grimm, »Die sieben Schwaben«)

Wenn aber all die Zeit und Kraft, die darauf verwendet wird, neuen Wein in alte Schläuche zu schütten, in der Hoffnung, daß diese vielleicht doch nicht platzen — obwohl Jesus gesagt hat, daß genau dies geschehen wird — oder darauf, neue Flicken auf alte Gewänder zu setzen, in der Hoffnung, daß diese vielleicht doch nicht reißen — obwohl Jesus gesagt hat, daß sie genau dies tun werden — wenn all die Energie, die darauf gewendet wird, tote Pferde zu reiten — obwohl es keine Verheißung dafür gibt, daß dies Erfolg haben könnte — endlich darauf gelenkt würde, schriftgemäße, geistliche Strukturen aufzubauen statt immer wieder zu versuchen, fleischgeborene Strukturen gesundzubeten und immer wieder nachzusehen, ob man nicht vielleicht doch irgendwann gute Früchte von einem faulen Baum ernten könne, dann wären wir schon viel weiter und kaum jemand müßte sich noch beklagen, daß es an seinem Wohnort einfach niemanden gibt, mit dem er schriftgemäße geistliche Gemeinschaft haben könnte.

Viele sitzen freilich »an den Strömen Babylons« und weinen nicht einmal mehr. Sie haben sich an das Leben dort gewöhnt und jeden Gedanken an das Land der Verheißung aus ihrem Denken getilgt, ja am Ende lügen sie sich gar in die Tasche, daß Babylon das neue Israel wäre. Sie sind vordergründig satt und zufrieden wie das Weib Loths in Södom, das sich von dort überhaupt nicht mehr losreißen wollte. Sie haben akzeptiert, daß die Realität ihrer Versammlungen nicht viel gemein hat mit dem Muster, das sie in der Schrift finden und haben aufgehört (oder vielleicht auch noch nie angefangen) dagegen zu kämpfen. Sie haben sich im Exil eingerichtet.
Die Botschaft der Absonderung von den Systemen Babylons durchzieht jedoch die ganze Bibel bis hin zum letzten Buch. Wir lesen in Offb.18,4: »Kommet heraus aus ihr, mein Volk, auf daß Ihr nicht Gemeinschaft habt samt ihren Verfehlungen, und daß aus ihren Plagen Ihr nicht nehmet.« 

 

 

 

 

* historische Fakten nach: Shlomo Hillel, »Operation Babylon« — Israels Geheimdienst im Irak, Hänssler-Verlag 1993

 

 

 

Siehe auch Geiernotiz: Die Versammlung verlassen?

 

 

 

Nachtrag 27. 1. 2013: Unter dem Titel »… hinter sich selbst her.« ist jetzt eine .pdf-Broschur verfügbar, welche die Artikel »Wolfsblut«, »Brot, Wein und Gericht«, »Die Versammlung verlassen« und »An den Flüssen Babylons« beinhaltet. Diese kann heruntergeladen und auch als gedrucktes Heft über das Kontaktformular bestellt werden.

 

 

 

Photo: © Geier

 

 

 

 

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